Fünf Kilometer vor Varel endete der Krieg
Um 8 Uhr morgens trat am 5. Mai 1945 die Teilkapitulation im Nordwesten in Kraft
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Bis zur letzten Minute beschossen polnische Truppen am Morgen des 5. Mai Wilhelmshaven. Und auch andere Städte im Nordwesten hatten Glück, dass der Krieg an diesem Tag endete.
IM NORDWESTEN – Was mit einem Angriff auf Polen am frühen Morgen des 1. September 1939 begonnen hatte, endete am 5. Mai 1945 um 7.59 Uhr im Nordwesten mit einem letzten Artillerieangriff auf Wilhelmshaven. Bis eine Minute vor dem vereinbarten Waffenstillstand für den Nordwesten Deutschlands und Europas beschoss die 1. Polnische Panzerdivision die zur Festung erklärte Stadt. Und nur die am Vorabend unterzeichnete Kapitulation der Wehrmacht hinderte die Polen daran, diese letzte Nazi-Bastion völlig zu zerstören.
Wie die Stimmungslage aufseiten der Polen nach sechs Jahren Krieg war, zeigt ein Bericht über den Einzug ihrer Truppen in Jever. Am 6. Mai notiert der polnische Oberst Franciszek Skibinski in sein Kriegstagebuch: „In den vorüberziehenden Dörfern und Städtchen – weiße Fahnen. Längs der Straßen – jubelnde Massen von befreiten Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern. Erschrockene Gesichter der deutschen Zivilisten.“
Und weiter: „Auf dem Hotel in Jever, in dem das Hauptquartier unserer Brigade sein sollte, wehte schon eine riesige polnische Fahne. Vor dem Eingang standen in einer Reihe drei bäuchige Herren mit Hüten in der Hand: der Landrat, der Bürgermeister und der Hotelwirt. Ihre Beine zitterten. Ich stieg aus dem Panzer mit einem Schilfrohr in der Hand und dem Dolmetscher an meiner Seite und ging auf das Trio
Die Panzer der 1. Polnischen Panzerdivision warteten am Stadtrand, während auf der Bismarckstraße die Übergabe Wilhelmshavens stattfand.
zu, das sich bis zur Hüfte verbeugte. Ich beliebte zu sagen: `Wenn irgendwem in der Stadt zumute sein sollte, einen Stock auf einen polnischen Soldaten oder einen Stein auf ein polnisches Quartier zu werfen, so werdet ihr Drei gehängt und die Stadt wird in Rauch aufgehen’.“
Nichts vergessen
Etwas anders verhielt sich dies bei den Briten und Kanadiern. Sie verhielten sich bei der Entgegennahme der bedingungslosen Kapitulation im Oldenburgischen Staatsministerium am 6. Mai Augenzeugen zufolge so „korrekt und soldatisch“gegenüber den deutschen Militärs, dass diese sich schon als künftige Verbündete im gemeinsamen Kampf gegen die Russen wähnten.
In seinen Tagebüchern schildert der Wehrmachtssoldat Hans Fritsch, der als Übersetzer an den Übergabegesprächen in Oldenburg teilnahm, die Atmosphäre als „freundlich“und berichtet von der Hoffnung vieler deutscher
Soldaten, von den Alliierten schon bald als Kämpfer gegen die Sowjets gebraucht zu werden.
Aus alliierter Sicht liest sich das Geschehen allerdings gänzlich anders. Kanadische Zeitzeugen der bedingungslosen Kapitulation im Staatsministerium witzelten später darüber, dass man die herausgeputzten deutschen Nazi-Generäle am Tisch stehen und sie anschließend von Soldaten niederen Ranges abführen ließ. Eine subtile Form der Demütigung, die den Deutschen entweder entgangen ist, oder die sie sich später schön geredet haben. In den Erinnerungen von Fritsch sitzen die Generäle jedenfalls mit den Alliierten gemeinsam an einem Tisch und tauschen in fröhlicher Atmosphäre Witze aus.
Durch das Inkrafttreten der Waffenruhe am Morgen des 5. Mai entgingen eine Reihe von Städten im Nordwesten in letzter Minute der völligen Zerstörung. So war bereits die Bombardierung von Jever am nachfolgenden Tag geplant und auch vor Aurich standen Truppen für den Angriff auf
die Stadt bereit. So heißt es in einer Veröffentlichung der Oldenburgischen Landschaft: „Wie ernst die Lage für Aurich gewesen ist, kann dem Kriegstagebuch der 8. Brigade entnommen werden. Dort steht: Gegen 11 Uhr sah es so aus, als wenn Aurich nicht kapitulieren werde. Deswegen wurde der Vorbefehl für den Feuerauftrag an die Artillerie gegeben, mit dessen Durchführung kurz nach 12 Uhr begonnen werden soll.“
Sinnlose Kämpfe
Als letzte Ortschaft geriet dann noch Stunden vor Kriegsende die winzige Gemeinde Collstede südwestlich von Bockhorn ins Kreuzfeuer. Der damalige Neuenburger Pastor Harms berichtet von einem blutigen Häuserkampf zwischen deutschen und polnischen Soldaten in der Nacht, in den sich anderen Zeitzeugen zu Folge auch noch der in Wilhelmshaven auf Grund liegende Kreuzer „Köln“mit stundenlangem Granatfeuer einmischte. Eines der letzten Opfer des Krieges im Nordwesten
war, dem Buchautor Holger Frerichs zufolge, dadurch die einjährige Edith Wätjen, die auf dem Arm ihres Vaters von einem Granatsplitter getroffen wurde, als dieser in einem Keller Schutz suchen wollte.
Wie eng Leben und Tod an diesem Tag verbunden waren, brachte auch der Vareler Zeitzeuge Wilhelm Schwenker 1950 in unserer Zeitung auf den Punkt: „Damit war zur Tatsache geworden, was wohl keiner mehr erhofft hatte, das keiner unter den gegebenen Tatsachen mehr erwarten konnte und das als eine Schicksalsentscheidung in letzter Minute angesehen werden musste. Der Weltkrieg hatte fünf Kilometer vor unserer Stadt sein Ende gefunden.“
Der nächste Teil der NWZ-Serie „Kriegsende im Nordwesten“an diesem Mittwoch handelt vom Aufbegehren gegen die Fortführung des Krieges:„Später Widerstand und letzte Morde“