Kein Ende im Bootsunfall-Prozess in Sicht
Verteidiger Reinhard Nollmann aus Friesoythe sieht zwei große Fehler im Verfahren
Ob der Prozess um den Bootsunfall bei Barßel in diesem Jahr zu Ende geht, ist wieder einmal mehr als fraglich. Doch die Verteidigung hofft auf die Wende.
BARßEL/TANGE/EMDEN – Vier Jahre. Das sind ungefähr 208,5 Wochen, 1460 Tage und 35 040 Stunden. Vier Jahre ist der Bootsunfall zwischen Barßel und Tange am 27. August dieses Jahr nun her. Dass es bis dahin ein Urteil gibt, den langersehnten Schlussstrich unter einen tragischen Unfall und gleichzeitig unter einer beispiellosen Gerichtsposse, ist mehr als unwahrscheinlich. Denn jetzt sind es nicht mehr die Gerichte, die den Prozess verzögern, sondern es ist die Corona-Krise.
Dabei hätte das Urteil längst da sein können. Reinhard Nollmann, Verteidiger des Angeklagten, benennt im Gespräch mit der Ð zwei große Fehler im Verfahren um den Bootsunfall, die die gesamte juristische Aufarbeitung in die Länge gezogen haben.
■ DAS FALSCHE GUTACHTEN
Der lang ersehnte nächste Verhandlungstag könnte dem Prozess voraussichtlich eine neue Wendung geben. Der erste Verhandlungstag am 2. September vergangenen Jahres war nämlich geplatzt, da sowohl Verteidigung als auch der Richter das Ende 2016 erstellte Gutachten für nicht ausreichend befanden. „Das Gutachten aus dem Jahre 2016 haben wir sofort angegriffen. Man musste nicht Physik studiert haben, um zu merken, dass hier sehr viel nicht passen kann.
Gleichzeitig war dieser Gutachter nicht spezialisiert auf Bootsunfälle“, so Nollmann. Er selbst hatte in einer langen Stellungnahme schon damals
das Gutachten kritisiert. „In Eigenfinanzierung habe ich damals schon einen anderen Sachverständigen in der Stellungnahme zurate gezogen. Das neue Gutachten deckt sich fast vollständig mit dem, was ich damals in Auftrag gegeben habe“, so Nollmann.
Sein Angeklagter, der überlebende Bootsführer aus Barßel, muss sich wegen fahrlässiger Tötung in zwei Fällen, gefährlicher Körperverletzung in mehreren Fällen sowie wegen Trunkenheit im Verkehr vor Gericht verantworten. Doch seine Schuld zu beweisen, ist schwierig, denn der Unfall ist sehr schwer zu rekonstruieren. Wo genau sind die Boote zusammengestoßen? Wie schnell waren die Boote, welches Boot war schneller? All diese Fragen versucht das neue Gutachten zu beantworten.
Sicher ist, dass beide Bootsführer betrunken waren. „Der getötete Bootsführer soll technische Veränderungen an seinem Boot vorgenommen haben und auch ohne Licht gefahren sein“, sagt Nollmann, der übrigens auch selbst einen Bootsführerschein besitzt.
Ebenfalls gibt es Zeugenaussagen der Mitfahrer im
Boot des Getöteten, die aufgrund der Geschwindigkeit Angst gehabt haben sollen. „Klar ist, dass ich meinen Mandaten aus der Trunkenheitsfahrt nicht rausbekommen werde. Doch wer betrunken fährt und sich trotzdem richtig verhält, kann nicht für weitere Taten verantwortlich gemacht werden“, so Nollmann weiter.
■ DIE ZUSTÄNDIGKEITSFRAGE
Den zweiten großen Fehler sieht Nollmann in der juristischen Aufarbeitung an sich. „Ich bin jetzt seit mehr als 45 Jahren Strafverteidiger. So etwas habe ich noch nicht annähernd erlebt“, sagt der Friesoyther Anwalt. Damit meint er ein Zuständigkeitsgerangel, dass seinesgleichen sucht. Kein Gericht fühlte sich zuständig
– bis sogar der Bundesgerichtshof in Karlsruhe ein Machtwort sprechen musste. Jetzt wird vor dem Amtsgericht Emden als Schifffahrtsgericht verhandelt – denn die Kollision der Boote fand logischerweise auf dem Wasser statt. Wo verhandelt wird, hängt meistens von zwei Faktoren ab. Entweder dort, wo der Tatort ist, oder dort, wo die Beteiligten herkommen. „Da fast alle Beteiligten aus Barßel kommen, hätte die Staatsanwaltschaft das Verfahren gleich am Amtsgericht in Cloppenburg anklagen müssen“, so Nollmann. Dass sich das ganze nun fast vier Jahre hinzieht, sieht er sehr problematisch. „Das ist für alle Beteiligten eine unzumutbare Tortur“, sagt der Verteidiger.
Dabei geht es aktuell sogar nur um den strafrechtlichen Bereich in dieser Sache. „Die wahnsinnigen zivilrechtlichen Folgen spielen auch eine große Rolle“, sagt Nollmann, denn das Boots des getöteten Barßelers war nicht versichert. „Es ist für mich immer noch eine Idiotie, dass man Autos für den Straßenverkehr pflichtversichern muss, dies aber bei Sportbooten nicht der Fall ist“, ärgert sich der Verteidiger.