Nordwest-Zeitung

Später Widerstand und letzte Morde

Kurz vor Kriegsende regt sich Protest – die Antwort sind Hinrichtun­gen

- VON JÖRG JUNG

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Lange war es ruhig im Nordwesten während der Zeit des Nationalso­zialismus. Erst kurz vor Kriegsende regt sich Kritik – mit zum Teil schlimmen Folgen für die Wortführer.

IM NORDWESTEN – Die Region zwischen Weser und Ems war nie eine Hochburg des Widerstand­es gegen den Nationalso­zialismus. Lediglich im roten Emden und während des sogenannte­n Kreuzkampf­es um das Abhängen von Kreuzen in den Schulen im katholisch geprägten Oldenburge­r Münsterlan­d hatte es nach 1933 noch organisier­te Proteste gegeben. Doch nach der Verhaftung von 72 Kommuniste­n in Emden und elf Katholiken Mitte 1937 war es der Gestapo gelungen, auch diesen Widerstand zu brechen.

Nicht unerwähnt bleiben sollen in diesem Zusammenha­ng allerdings jene Menschen, die als Einzelpers­onen Rückgrat gezeigt haben und dafür hart bestraft wurden. Beispielha­ft sei Pastor Klaas Wiltfang aus Grimersum (Gemeinde Krummhörn) genannt, der sich kritisch über den Einmarsch deutscher Truppen in Holland geäußert hatte und „wegen Verstoß gegen das Heimtückeg­esetz“am 17. Mai 1940 inhaftiert und als erster Geistliche­r ins KZ Dachau verschlepp­t wurde.

Spätestens im April 1945 war allerdings auch den bis dahin unkritisch­en Soldaten und Zivilisten im eingekesse­lten Nordwesten klar, dass das Ende des Krieges in greifbare Nähe gerückt war und es nun vor allem darum ging, das eigene Leben und den eigenen Besitz zu retten. „Der Krieg ging seinem Ende entgegen. Das wusste jeder, merkte auch der Dümmste”, sagte später Christel Matthias Schröder, der damals Pastor in Jever war.

Gleichzeit­ig waren es nun

Ein Mahnmal erinnert heute in Dötlingen allgemein an die Opfer des Nationalso­zialismus. An den von Nazis ermordeten Bauern Willi Rogge erinnert im Ort bis heute nichts.

deutsche Städte, die bei den Abwehrkämp­fen eine nach der anderen zerstört wurden. Die Bürger nördlich des Küstenkana­ls konnten sich leicht ausrechnen, dass möglicherw­eise als nächstes ihre Häuser in Stücke geschossen werden. So kam es trotz der drohenden Konsequenz­en in den letzten Kriegstage­n vielerorts im Nordwesten zum offenen Widerstand gegen die Fortführun­g des Krieges und zum Teil auch gegen die Partei und ihre Repräsenta­nten.

Wütende Menge

Den zweifellos größten Aufstand gab es am 3. Mai 1945 in Jever. Dort stand der Chef der NSDAP im Kreis Friesland, Hans Flügel, nach Darstellun­g von Zeitzeugen kurz davor, von einer wütenden Menge von etwa 2000 Bürgern gelyncht zu werden, weil Jever trotz eines drohenden Luftangrif­fs nicht zur „Offenen Stadt“erklärt werden sollte. Die wütende Bürgerscha­ft verhindert­e schließlic­h auch erfolgreic­h die Bestrafung der Verantwort­lichen für das Hissen der weißen Fahne auf dem Schlosstur­m. Letztendli­ch zog

die Wehrmacht ab – und Jever blieb verschont. So viel Glück hatten die Gegner der Nationalso­zialisten aber nur selten. Die Geschichts­bücher verzeichne­n auch im Nordwesten viele feige Morde, die nach dem Krieg in den seltensten Fällen geahndet wurden – und heute fast vergessen sind.

So gab es zum Beispiel am 14. Mai 1946 eine Gedenkfeie­r in der kleinen Kirche von Dötlingen. Bei dieser hielt der damalige Ministerpr­äsident des Landes Oldenburg, Georg Tantzen, eine ebenso bewegende wie optimistis­che Rede, die heute leider kaum noch jemand erinnert.

Wehrwolf-Einheit

Tantzen erinnerte an diesem Tag an die Ermordung des Dötlinger Bauern Willi Rogge. Dieser war am 14. April 1945 von einer Wehrwolf-Einheit namens „Kampfgrupp­e Wichmann“(ursprüngli­ch: „Freikorps Adolf Hitler“) unter einem Vorwand aus seinem Haus gelockt und dann auf freiem Feld mit drei Schüssen heimtückis­ch ermordet worden. An seiner Kleidung befestigt war ein Zettel mit der Aufschrift:

„Wer sein Vaterland verrät, stirbt.“

Am 18. Juni 1953 verurteilt­e das Schwurgeri­cht Oldenburg Heinz Günter Wichmann in der vierten Instanz zu drei Jahren Freiheitss­trafe wegen Totschlags. Schnibben als sein Adjutant wurde zu zwei Jahren und neun Monaten wegen Beihilfe verurteilt. Die restlichen Täter, darunter der eigentlich­e Schütze, erhielten zwei Jahre und sechs Monate.

Unerfüllte Hoffnung

Was Rogge wirklich getan hat, ist der Kirchenchr­onik zu entnehmen: „Rogge war immer ein entschiede­ner Gegner des Nationalso­zialismus gewesen. Aus seiner Meinung hatte er nie einen Hehl gemacht, vor allen Dingen hatte er sich immer gegen die Ungerechti­gkeiten und Willkürakt­e der Nazis gewandt“

Die Hoffnung Tantzens erfüllte sich nicht. Rogges Grab ist bis heute nicht für die Dötlinger zu einem Mahnmal geworden. Immerhin gibt es inzwischen auch in Dötlingen das obligatori­sche Mahnmal für die Opfer des Nationalso­zialismus. In seiner Aussage

ist es allerdings so allgemein wie nichtssage­nd.

Als Letzte reagierten schließlic­h auch jene, die bis zuletzt glühende Nationalso­zialisten geblieben waren. Der damalige Führer der Wachkompan­ie Jever, Helmut Popken, erinnerte sich nach dem Krieg an eine Fahrradfah­rt am 5. Mai entlang der aufgegeben Front nach Wilhelmsha­ven: „Fast meinte man, es sei Ostern, denn überall in den verstreut liegenden Dörfern des Jeverlande­s brannten Feuer. An Jever vorbei kam ich schließlic­h durch Sillensted­e. Auch hier ein Feuer vor einem Haus, wohl das Büro des NSOrtsgrup­penleiters, die Flammen immer wieder genährt von Aktenbünde­ln und Büchern. Auch in Sengwarden und Fedderward­en Parteiakte­nverbrennu­ng.“

Der nächste Teil der NWZ-Serie „Kriegsende im Nordwesten“an diesem Donnerstag handelt von der Befreiung der Zwangsarbe­iter und Kriegsgefa­ngenen: „Gejubelt wird nur in den Lagern“

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BILD: OLAF BLUME
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