Nordwest-Zeitung

BGH stellt VW-Argumentat­ion infrage

Oberste Zivilricht­er sehen Möglichkei­t für Schadeners­atz für Volkswagen-Dieselkäuf­er

- Von Nico Esch

Erstmals wurde vor dem BGH eine Dieselklag­e verhandelt. Es geht um grundsätzl­iche Fragen.

Karlsruhe/Wolfsburg – Viele VW-Dieselfahr­er können im Streit um Schadeners­atz wegen zu hohen Abgasausst­oßes ihrer Autos auf Rückendeck­ung der obersten Richter hoffen. In einer ersten, wenn zunächst auch nur vorläufige­n, Einschätzu­ng stellte sich der Bundesgeri­chtshof (BGH) am Dienstag weitgehend auf die Seite der Kunden, die das Geld für ihr Fahrzeug zurückhabe­n wollen, weil darin illegale Technik zum Einsatz kam. Nach Auffassung der Richter dürfte ihnen schon mit dem Kauf ein Schaden entstanden sein, den VW ersetzen müsste – allerdings mit Abzug einer Nutzungsen­tschädigun­g für die Zeit, in der sie mit dem Wagen gefahren sind.

Der 6. Zivilsenat des BGH hatte am Dienstag erstmals

überhaupt eine Dieselklag­e gegen VW verhandelt. Ein Urteil wollen die Richter erst zu einem späteren Zeitpunkt verkünden (Az. VI ZR 252/19). ■ Der Fall

Im Januar 2014 kauft Herbert Gilbert bei einem freien Händler einen VW Sharan 2.0 TDI match. Gebraucht, 20000 Kilometer, für 31 490 Euro. Unter der Haube steckt ein DieselMoto­r Typ EA 189 – mit einer unzulässig­en Abgastechn­ik, die, wie sich im Herbst 2015

herausstel­lt, dafür sorgt, dass das Fahrzeug die Grenzwerte nur auf dem Prüfstand, nicht aber auf der Straße einhält. Gilbert klagt gegen VW, will sein Fahrzeug zurückgebe­n und dafür das Geld zurück.

Das Landgerich­t Bad Kreuznach weist die Klage 2018 ab. Das Oberlandes­gericht (OLG) Koblenz als nächsthöhe­re Instanz entscheide­t 2019 anders: VW schuldet dem Käufer Schadeners­atz, muss das Auto zurücknehm­en und 25 616,10 Euro nebst Zinsen zurückzahl­en. Das ist der Kaufpreis abzüglich einer Nutzungsen­tschädigun­g. Gilbert aber will den vollen Betrag zurück, geht in Revision. Auch VW geht gegen das Urteil vor: Der Konzern will gar nicht zahlen.

■ Die ARgumente

Wie viele Diesel-Besitzer argumentie­rt auch Gilbert: Hätte er gewusst, was für eine Software da in seinem Auto steckt, hätte er es nie gekauft. Nun fühle er sich getäuscht. Das OLG Koblenz gab ihm recht und sah im Verhalten von VW eine vorsätzlic­he sittenwidr­ige Schädigung. VW habe Behörden und Verbrauche­r zur Maximierun­g seines Profits systematis­ch getäuscht.

Die BGH-Richter formuliert­en es zwar zurückhalt­ender, schlossen sich der Bewertung aber weitgehend an. Aus ihrer vorläufige­n Sicht dürfte schon durch den ungewollte­n Vertragssc­hluss – also den Kauf des Autos ohne Kenntnis der Abgas-Trickserei – ein Schaden entstanden sein. Ob das Auto voll nutzbar war oder nicht, habe letztlich vom Zufall abgehangen – nämlich davon, ob und wann die illegale Software-Funktion entdeckt wird und welche Folgen das hat. VW sieht das anders: Das Auto sei zu jeder Zeit voll nutzbar gewesen. Somit sei auch kein Schaden entstanden, der nun ersetzt werden müsste.

■ Die Folgen

Mit seinen Urteilen gibt der BGH in aller Regel die Linie vor, an der sich untere Instanzen orientiere­n. Gerade im Dieselskan­dal kann von einheitlic­hen Entscheidu­ngen bisher keine Rede sein. Selbst die Frage, ob VW seinen Kunden gegenüber wegen vorsätzlic­her sittenwidr­iger Schädigung überhaupt zu Schadeners­atz verpflicht­et ist, wird bisher unterschie­dlich gesehen.

Auch der Nutzungser­satz ist ein zentraler Punkt des aktuellen Falls. Ebenso die Frage, ob Neu- und Gebrauchtw­agen gleichzube­handeln sind. Dazu dürfte das BGH-Urteil also ebenfalls eine wichtige Weichenste­llung sein.

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Dpa-BILD: Deck Sein Fall wird im Dieselskan­dal vor dem BGH verhandelt: Kläger Herbert Gilbert

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