BGH stellt VW-Argumentation infrage
Oberste Zivilrichter sehen Möglichkeit für Schadenersatz für Volkswagen-Dieselkäufer
Erstmals wurde vor dem BGH eine Dieselklage verhandelt. Es geht um grundsätzliche Fragen.
Karlsruhe/Wolfsburg – Viele VW-Dieselfahrer können im Streit um Schadenersatz wegen zu hohen Abgasausstoßes ihrer Autos auf Rückendeckung der obersten Richter hoffen. In einer ersten, wenn zunächst auch nur vorläufigen, Einschätzung stellte sich der Bundesgerichtshof (BGH) am Dienstag weitgehend auf die Seite der Kunden, die das Geld für ihr Fahrzeug zurückhaben wollen, weil darin illegale Technik zum Einsatz kam. Nach Auffassung der Richter dürfte ihnen schon mit dem Kauf ein Schaden entstanden sein, den VW ersetzen müsste – allerdings mit Abzug einer Nutzungsentschädigung für die Zeit, in der sie mit dem Wagen gefahren sind.
Der 6. Zivilsenat des BGH hatte am Dienstag erstmals
überhaupt eine Dieselklage gegen VW verhandelt. Ein Urteil wollen die Richter erst zu einem späteren Zeitpunkt verkünden (Az. VI ZR 252/19). ■ Der Fall
Im Januar 2014 kauft Herbert Gilbert bei einem freien Händler einen VW Sharan 2.0 TDI match. Gebraucht, 20000 Kilometer, für 31 490 Euro. Unter der Haube steckt ein DieselMotor Typ EA 189 – mit einer unzulässigen Abgastechnik, die, wie sich im Herbst 2015
herausstellt, dafür sorgt, dass das Fahrzeug die Grenzwerte nur auf dem Prüfstand, nicht aber auf der Straße einhält. Gilbert klagt gegen VW, will sein Fahrzeug zurückgeben und dafür das Geld zurück.
Das Landgericht Bad Kreuznach weist die Klage 2018 ab. Das Oberlandesgericht (OLG) Koblenz als nächsthöhere Instanz entscheidet 2019 anders: VW schuldet dem Käufer Schadenersatz, muss das Auto zurücknehmen und 25 616,10 Euro nebst Zinsen zurückzahlen. Das ist der Kaufpreis abzüglich einer Nutzungsentschädigung. Gilbert aber will den vollen Betrag zurück, geht in Revision. Auch VW geht gegen das Urteil vor: Der Konzern will gar nicht zahlen.
■ Die ARgumente
Wie viele Diesel-Besitzer argumentiert auch Gilbert: Hätte er gewusst, was für eine Software da in seinem Auto steckt, hätte er es nie gekauft. Nun fühle er sich getäuscht. Das OLG Koblenz gab ihm recht und sah im Verhalten von VW eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung. VW habe Behörden und Verbraucher zur Maximierung seines Profits systematisch getäuscht.
Die BGH-Richter formulierten es zwar zurückhaltender, schlossen sich der Bewertung aber weitgehend an. Aus ihrer vorläufigen Sicht dürfte schon durch den ungewollten Vertragsschluss – also den Kauf des Autos ohne Kenntnis der Abgas-Trickserei – ein Schaden entstanden sein. Ob das Auto voll nutzbar war oder nicht, habe letztlich vom Zufall abgehangen – nämlich davon, ob und wann die illegale Software-Funktion entdeckt wird und welche Folgen das hat. VW sieht das anders: Das Auto sei zu jeder Zeit voll nutzbar gewesen. Somit sei auch kein Schaden entstanden, der nun ersetzt werden müsste.
■ Die Folgen
Mit seinen Urteilen gibt der BGH in aller Regel die Linie vor, an der sich untere Instanzen orientieren. Gerade im Dieselskandal kann von einheitlichen Entscheidungen bisher keine Rede sein. Selbst die Frage, ob VW seinen Kunden gegenüber wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung überhaupt zu Schadenersatz verpflichtet ist, wird bisher unterschiedlich gesehen.
Auch der Nutzungsersatz ist ein zentraler Punkt des aktuellen Falls. Ebenso die Frage, ob Neu- und Gebrauchtwagen gleichzubehandeln sind. Dazu dürfte das BGH-Urteil also ebenfalls eine wichtige Weichenstellung sein.