Nordwest-Zeitung

Eine viel zu ernste Sache für die Männer

POLITIK Torsten Körner aus Barßel schreibt über Frauen in der Politik – Corona zerschlägt alle Pläne

- VON KARSTEN KROGMANN

Das Buch ist gedruckt, der Film sollte starten, dann brachte Corona alles durcheinan­der. Ein Gespräch mit Autor und Regisseur Körner.

BARßEL/OLDENBURG – Der Film war gut geworden, das Buch auch, für Torsten Körner standen alle Zeichen auf Erfolg.

Zur Filmpremie­re in Berlin hatte sich oberste Politpromi­nenz angekündig­t, „Tagesschau“, „Heute“, alle würden berichten. Die Buchpremie­re wollte TV-Talkerin Anne Will moderieren, die Zeitungen druckten vorab erste Besprechun­gen, allesamt positiv. Täglich trudelten neue Lesungster­mine und Interviewa­nfragen im Hause Körner ein. Dann kam Corona.

Die Buchmesse fiel aus, die Lesungen wurden abgesagt, die Interviewt­ermine, die Premieren. Die Kinos bleiben bis auf Weiteres geschlosse­n, ebenso die Buchhandlu­ngen. Und die Medien kennen nur noch ein Thema: Corona.

„Das ist schon bitter“, sagt Körner: „Sachen, auf die ich vier, fünf Jahre lang hingearbei­tet habe, fallen einfach durchs Rost.“Es ist bitter für ihn als freien Autor, dem plötzlich ein Großteil seiner Einnahmen wegbricht. Es ist aber bitter auch für sein Thema: Frauen in der Politik. „Das hätte es echt verdient gehabt“, findet er.

Die besseren Geschichte­n

Torsten Körner, 54 Jahre alt, geboren in Oldenburg, aufgewachs­en in Barßel (Landkreis Cloppenbur­g), wohnhaft in Berlin, ist Schriftste­ller, Journalist und seit einigen Jahren auch Filmemache­r. Seine Bücher handelten bislang zumeist von Männern, Körner schrieb über Heinz Rühmann, Götz George, Franz Beckenbaue­r. Zuletzt schrieb er über Willy Brandt, genauer: über „Die Familie Willy Brandt“, und dabei fiel ihm etwas auf:

Die Frauen der Bonner Republik, die er für seine BrandtSich­t interviewt­e, hatten oft bessere Geschichte­n zu erzählen als die Männer. Sie waren die schärferen Beobachter­innen, „sie hatten ein gutes Auge für Machtproze­sse, wie Macht verändert“.

In seinem Brandt-Buch passierte den Frauen allerdings das, was sie aus der Politik kannten: Sie mussten die große Bühne den Männern überlassen, den politische­n Alphatiere­n. Körner musste auf viele Frauen-Geschichte­n verzichten, vergessen hat er sie aber nicht: In einem eigenen Projekt wollte er die Männerrepu­blik durch die Frauenpers­pektive betrachten.

Vorher machte er aber einen Film, „Die Unerwartet­e“, im Mittelpunk­t stand eine Politikeri­n: Angela Merkel, die erste Bundeskanz­lerin Deutschlan­ds. „Hochspanne­nd“fand er sie, sagte er nach seinem Interview mit ihr. Und, ja, „sympathisc­h“. Körner kam den Frauen näher.

Damals, als Körner Kind war im konservati­v-katholisch­en Südoldenbu­rg, machten Männer Politik. Aber auf dem Barßeler Esch, gegenüber von Körners, gab es diese Nachbarin, sie engagierte sich als Kommunalpo­litikerin in der CDU. „Das fand ich komisch“, erinnert sich Körner, „das war ungewöhnli­ch. Erstens fand ich die CDU sowieso immer unheimlich. Zweitens passte eine Frau, die Politik macht, nichts ins Rollenbild.“Gern würde er die Nachbarin heute fragen: Was hat dich dazu bewogen? Er kam nie dazu, die Frau starb viel zu früh.

Was bewegt Frauen, in die

Autor und Regisseur: Torsten Körner

Politik zu gehen? „In der Männer-Republik“, wie Körners Buch heißt? Wo sie Sexismus ausgesetzt waren? (Körner nennt Beispiele und Namen.) Wo sie zumeist nur als „Sarghüpfer“Karriere machen konnten? (Frauen rückten von ihren chancenlos­en Listenplät­zen erst dann ins Parlament, wenn ein Mann starb.) Wo sie buchstäbli­ch aus dem Bild gedrängt wurden? (Körner fand Hunderte Filmaufnah­men des ersten Medienkanz­lers der Bundesrepu­blik, Konrad Adenauer, aber kaum welche mit Frauen.)

Seit 1949, so hat es „Zeit online“2018 ausgerechn­et, gab es in der Bundesrepu­blik 692 beamtete Staatssekr­etäre. Nur 19 davon waren Frauen. 24 hießen mit Vornamen Hans. Es gab mehr Staatssekr­etäre namens Hans als Frauen.

Am Anfang seines Filmes mit dem Titel „Die Unbeugsame­n“tritt Marie-Elisabeth Lüders ins Bonner Bild, Jahrgang 1878, FDP-Abgeordnet­e, sie war gerade 80 geworden. Eine Reporterin fragt sie, wie es um ihr großes Anliegen stehe, die Gleichbere­chtigung von Mann und Frau, und ob es weiter Frauen als Vermittler­innen brauche in der Politik.

Lüders streckt sich: „Ich bin der Meinung, dass es in der Politik ohne die Vermittlun­g der Frau überhaupt nicht geht, weil die Männer eine starke Neigung haben, sich zu zanken, und die Frauen eine ebenso starke Neigung haben, sich zu versöhnen.“

Lauter Schwarzröc­ke

Der Film zeigt Schwarzwei­ßbilder: Herbert von Karajan dirigiert Dvorak, Männer in Schwarz geigen, spielen Horn. Männer reden im Bundestag, Männer stellen sich zum Gruppenfot­o auf, Männer fotografie­ren Männer, Männer interviewe­n Männer.

In Körners Buch sagt Käte Strobel, Jahrgang 1907, SPDMiniste­rin: „Politik ist eine viel zu ernste Sache, um sie alleine den Männern zu überlassen.“

Körner lässt nun alleine die Frauen sprechen. Im Film gerät das oft emotionale­r, im Buch analytisch­er. Wollte er den Frauen, die aus den Bildern der Bonner Republik gedrängt wurden, Denkmale setzen? „Ich wollte Denk-Male errichten“, sagt Körner: „Denk’ mal nach! Erinnere dich!“

Ein Mann schreibt über Frauen. Anfangs, sagt Körner, habe er Angst vor dem Vorwurf des „Mansplaini­ng“gehabt: Ein Mann erklärt einmal mehr Frauen die Welt, weil er ja sowieso alles besser weiß. Dann kamen die ersten Rezensione­n, geschriebe­n von Frauen, sie lobten ihn.

Das liegt natürlich an Körner. Er ist ein guter Zuhörer, er ist ein angenehmer Erzähler. Auch wenn man seinem Buch die Vorsicht anmerkt; er selbst sagt, er habe es „mit tastendem Stift“geschriebe­n.

Um so mehr schieben sich die Frauen an ihm vorbei ins Bild. Lenelotte von Bothmer (SPD), die 1970 im Hosenanzug zur Rede im Bundestag antritt, weil es der Bundestags­präsident verboten hatte. Die Frauengrup­pe um Helene Weber (CDU), die 1961 stundenlan­g im Palais Schaumburg auf Adenauer wartet, um ihm eine erste Ministerin abzuringen. Waltraut Schoppe (Grüne), die 1983 im Parlament über Sexismus spricht, vor grölenden, lachenden, unflätigen Männern. „Ich sehe, ich habe das Richtige gesagt“, bemerkt sie süffisant.

„Nur Schwarzröc­ke“, sagt Renate Hellwig (CDU), wenn sie in den Bonner Vitrinen die Bilder von damals sieht; sie meint die Männer in ihren dunklen Anzügen.

Christa Nickels (Grüne) sagt: „Wenn die Wahl gewesen wäre zwischen der besten Frau von allen in den Siebzigern und einem dummen August, dann wäre der dumme August Kanzler geworden.“

Der Film zeigt Farbbilder: Mirga Grazinytte-Tyla dirigiert voller Leidenscha­ft Beethoven, im Orchester lockern Frauenklei­der das Orchesters­chwarz auf.

Im März 2020 spricht im deutschen Fernsehen Angela Merkel (CDU), die deutsche Kanzlerin, es geht um Corona. Torsten Körner schaut zu. Er, der die CDU immer unheimlich fand, sagt: „Wir können uns glücklich schätzen, dass diese Frau, dass eine Frau die politische­n Geschäfte führt.“

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BILD: (C) MAJESTIC Interview im Bonner Regierungs­viertel: Torsten Körner spricht mit Ursula Männle (CSU).
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BILD: KARSTEN KROGMANN

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