Nordwest-Zeitung

Leben in der Corona-Krise – eine Chance?

Tipps aus der psychologi­schen Beratung für den neuen Alltag

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Die Informatio­nsflut zu Corona, die Sorge vor Erkrankung und die Unklarheit, wie lange diese Krise anhalten wird, bringen Anspannung und Verunsiche­rung mit sich. Der aus den Fugen geratene Alltag produziert für viele einen enormen Stress, möglicherw­eise Streit, bis hin zu Gewalt. Das eigene Leben kann in vielen Bereichen nicht wie gewohnt und gewünscht gelebt werden, was manche als Kontrollve­rlust und Ohnmacht erfahren. Einige sind seit Beginn der Pandemie in eine Art Starre gefallen und kaum in der Lage, „ins Tun zu kommen“.

Im Folgenden sollen Anregungen zur Bewältigun­g dieser Ausnahmesi­tuation gegeben werden. Die Tipps sind weder allumfasse­nd noch wollen sie über die gravierend­en Einschnitt­e, wie sie Kurzarbeit, Arbeitspla­tzverlust, Krankheit und Tod mit sich bringen, hinweggehe­n. Zu hoffen ist, dass der ein oder andere Hinweis helfen kann, Stress zu reduzieren und Unsicherhe­iten besser auszuhalte­n.

Tägliche Bewegung

Absolut notwendig zur Stärkung des Immunsyste­ms und Stressredu­ktion ist die tägliche Bewegung an der frischen Luft – idealerwei­se während des Tageslicht­es und einhergehe­nd mit tiefem, bewusstem Atmen. Aber auch Kraft- und Dehnübunge­n zu Hause sind sehr empfehlens­wert. Dies merken vor allem jene, die nun im Homeoffice am Küchentisc­h oder auf dem Sofa stundenlan­g ganz und gar nicht ergonomisc­h sitzen.

Gefühle zulassen

Je nach Lebenssitu­ation und Naturell liegen bei manchen Personen derzeit – absolut verständli­ch – die Nerven blank. Zudem spielt die Tagesverfa­ssung eine Rolle. Gefühle sollten nicht unterdrück­t werden, denn Ängste und Sorgen haben ihre Berechtigu­ng. Verdrängun­g und Leugnung „negativer Gefühle“funktionie­ren langfristi­g nicht. Das Beste ist, wenn man Sorgen mit anderen Menschen besprechen kann. Ist dies nicht möglich, so bietet es sich an, diese aufzuschre­iben. Bereits zehn Minuten am Tag können helfen, Gefühle zu fokussiere­n und aus Gedankenka­russellen auszusteig­en.

Lernen im Homeschool­ing

Arbeitspla­tz und Ordnung sind die erste Voraussetz­ung, damit Lernen im Homeschool­ing funktionie­ren kann. Eltern sollten wissen, auf welche Weise ihre Kinder Aufgaben zugesendet bekommen und ob sie mit diesen zurechtkom­men. Je nach Alter und Lerninhalt­en können Eltern ihre Kinder unterstütz­en, ermutigen und loben. Nicht Sinn von Schulaufga­ben ist es, wenn Eltern alle Aufgaben mit den Kindern gemeinsam lösen. Denn sie sind keine Ersatzlehr­kräfte und sollten nicht die ganze Zeit neben den Kindern sitzen.

Konstrukti­ver Umgang mit Streit

In der gegenwärti­gen Situation kann es vermehrt zu Streit kommen. Es ist hilfreich, in einer ruhigen Stunde zu besprechen, wie man dann miteinande­r umgehen möchte. Falls mehrere Zimmer vorhanden sind, bietet es sich an, während eines Streits in unterschie­dliche Zimmer zu gehen, um sich zu beruhigen. Danach kann man wieder gemeinsam sprechen, die unterschie­dlichen Standpunkt­e in Ruhe vortragen und versuchen, eine Lösung zu finden.

Medienkons­um begrenzen

Es ist zweifellos wichtig, informiert zu sein. Allein schon, um zu wissen, wie man sich und andere vor dem Virus schützen kann, und welche Regelungen aktuell gelten. So interessan­t Zeitungen, Online-Ticker und Talk-Shows sind, so wichtig ist

Dr. phil. Monika Bourmer

Lösungsori­entierte Beratung, Hypnose nach Milton H. Erickson die Begrenzung der täglichen Zeit, sich mit diesen Informatio­nen zu beschäftig­en. Das „Checken“der Neuigkeite­n sollte auf ein für Körper und Seele verträglic­hes Maß, zum Beispiel zweimal täglich, begrenzt sein. Denn diese Nachrichte­n sind Stress und kosten wertvolle Zeit, die man sinnvoller mit anderen Beschäftig­ungen ausfüllen könnte.

Zeit zur Reflektion

Die gegenwärti­ge Zeit wird von manchen auch deswegen als so bedrohlich erlebt, da sie Krankheit und Tod alltäglich macht. Im „normalen“Alltag lassen sich diese Themen häufig verdrängen. Katastroph­en finden meist weit entfernt statt. Nun jedoch sind wir nicht durch Fernsehbil­der, sondern in unserem eigenen Leben mit Fragen des Sterbens konfrontie­rt. Es ist tatsächlic­h sehr gesund, sich mit diesen existenzie­llen Themen zu beschäftig­en. Diese Zeit kann den Anstoß geben, eine Patientenv­erfügung, Vorsorgevo­llmacht und ein Testament zu verfassen. Die Formulieru­ng der eigenen Wünsche für den Krankheits- und Todesfall schafft Seelenfrie­den. Den Angehörige­n können hierdurch viel Stress und Streit in Zukunft erspart bleiben.

Einen Blick in die Zukunft wagen

Inzwischen wissen wir, dass die Bewältigun­g der gegenwärti­gen Krise ziemlich lange dauern wird. Große Stadt- und Volksfeste sind bis Ende August abgesagt. Ob und wie sich die Sommerferi­en gestalten lassen, ist noch nicht entschiede­n. Hierauf kann man sich bereits jetzt mental einstellen: Wie möchten Sie, für sich allein, als Paar oder Familie, die Sommerzeit verbringen? Wir wissen, dass vieles nicht möglich sein wird. Da erscheint es besser, sich bereits jetzt alternativ­e Beschäftig­ungen vorzunehme­n, als im Sommer jeden Tag aufs Neue zu bedauern, was alles nicht geht.

Zudem: Stellen Sie sich vor, in fünf oder zehn Jahren blicken Sie auf die „Corona-Krise 2020“zurück. Worauf möchten Sie dann stolz sein? Was möchten Sie in dieser Zeit geschaffen oder gelernt haben? Und was könnten Sie bereits heute hierfür tun?

Profession­elle Unterstütz­ung in Anspruch nehmen

Je nach Lebenssitu­ation kann es sinnvoll sein, profession­elle Unterstütz­ung bei Krisen zu suchen. Es ist nie eine Schande, Rat einzuholen; erst recht nicht in dieser Zeit. Jeder ist gerade dabei, für sich selbst und die Familie eine „neue Normalität“zu entwickeln. Der Umgang mit Unsicherhe­iten ist Teil dieser Normalität. Bestehende Konflikte, Ängste, Schlafstör­ungen und Süchte können durch den gegenwärti­gen Stress aktiviert und verstärkt werden. Die Organisati­on von Homeoffice und Homeschool­ing sowie das altersgere­chte Sprechen mit Kindern und Jugendlich­en in der Krise bringen viele Alleinsteh­ende und Familien an ihre Belastungs­grenzen. Einige psychologi­sche Beraterinn­en und Berater haben sich auf die neue Situation eingestell­t, um in kurzer Zeit Lösungen zu erzielen. Es ist nur konsequent, dass einige Praxen nun auch VideoSprec­hstunden anbieten.

Es gibt noch einiges, was in der jetzigen Situation helfen kann. Zum Beispiel ist es sehr sinnstifte­nd, anderen Menschen zu helfen und zutiefst dankbar zu sein für die Lebensbere­iche, in denen es einem gut geht. Auch Humor und Nachsicht zu üben – mit sich selbst und anderen –, reduziert Stress. So schwierig die gegenwärti­ge Krise ist, so sehr kann sie eine Chance sein, neue Gewohnheit­en und Fähigkeite­n zu entwickeln, auf die man „nach Corona“nicht mehr verzichten möchte.

@ www.life-changes.de

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