Das sagt Boris Palmer (Grüne) zum Zwist mit seiner Partei
Boris Palmer (Grüne) über Corona-Opfer und den Zwist mit der Partei
Herr Palmer, Ihre Partei will Sie nicht mehr unterstützen. Ihnen droht nach Ihren umstrittenen Äußerungen zu älteren CoronaKranken, „die in einem halben Jahr sowieso tot wären“, womöglich sogar ein Parteiausschlussverfahren. War es das mit Ihnen und den Grünen? Palmer: Ich bin sehr enttäuscht. Ich habe grüne Grundwerte verteidigt, indem ich auf unsere internationale Verantwortung aufmerksam gemacht habe. Wir dürfen durch unsere Corona-Strategie nicht das Leben von Menschen in den armen Ländern der Welt opfern. Ich kann nicht nachvollziehen, wie mit Falschdeutungen versucht wird, mir zu unterstellen, dass ich der Euthanasie das Wort rede. Ich bin wirklich entsetzt.
Sie haben gesagt: „Wir retten Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären.“Das empfinden manche nicht nur als falsch und instinktlos, sondern auch als zynisch und menschenverachtend. Ist die Kritik nicht berechtigt? Palmer: Die Formulierung lässt diese Wahrnehmung offensichtlich zu, deshalb war sie fürchterlich schlecht. Bei der Entschuldigung bei verletzten Menschen, vor allem persönlich betroffenen Menschen, bleibe ich aufrichtig. Es war aber für mich einfach die Beschreibung eines empirischen Befundes. Die Statistik legt sehr nahe, dass die Menschen, die in Deutschland mit Corona sterben, entweder gar nicht an Corona sterben oder dem Tod schon sehr nahe gewesen sind. Das muss Bestandteil der Debatte sein. Wir fixieren uns zu sehr auf die horrend wirkenden Todeszahlen. Das ist einer der Gründe, warum die Shutdown-Debatte so dogmatisch geführt wird. Mit dem Argument „Wir dürfen niemals zulassen, dass jemand stirbt“ist keine Diskussion über die richtige Strategie mehr möglich. Natürlich darf man nicht zulassen, dass jemand stirbt. Aber wir verbieten deshalb auch nicht das Skifahren, das Autofahren und das Rauchen, obwohl wir wissen, dass dies ebenfalls tödlich enden kann.
Die Corona-Krisenstrategie ist also aus Ihrer Sicht nicht verhältnismäßig?
Palmer: Wir könnten in Deutschland den Schutz der Risikogruppen effektiver organisieren und dennoch sehr viel mehr wirtschaftliche Tätigkeit zulassen. So könnten wir in ärmeren Ländern und hierzulande die Folgen einer Wirtschaftskrise verringern. Wir testen ja noch nicht mal das Personal der Pflegeheime regelmäßig auf Corona, weil die Kassen es nicht bezahlen. Warum wird das nicht als menschenverachtend gebrandmarkt?
Andere werfen Ihnen Methode vor. Es ist nicht das erste Mal, dass Sie anecken. Manch einer sieht sie schon als Thilo Sarrazin der Grünen…?
Palmer: Es gibt eine Methode. Ich habe sie in meinem neuesten Buch benannt: Erst die Fakten, dann die Moral. Ich bin aufgrund meiner mathematischen Vorprägung vielleicht nicht so empathisch für die Bedürfnisse mancher Menschen. Ich habe aber einen klaren und analytischen Blick auf Tatsachen und deren statistische Deutung. Die Konflikte sind immer dann ausgebrochen, wenn ich der Auffassung war, dass ich über Tatsachen spreche und gar keine Wertung transportiere. Bei meinen Kritikern kam aber stets an, dass eine von mir beabsichtigte unterschwellige Wertung und Haltung die Ursache sei – also Rassismus, Menschenverachtung, Homophobie. Diese unterstellten Haltungen gibt es bei mir alle nicht. Der Konflikt entsteht aus einem unverstellten und unverblümten Blick auf Tatsachen.
Sie erhalten auch Drohungen und Anfeindungen. Wie gehen Sie damit um?
Palmer: Ich erhalte sogar Morddrohungen. Wir werten das momentan aus. Es ist eine dreistellige Anzahl von justiziablen, schweren Beleidigungen und Androhungen von Straftaten. Es bleibt mir diesmal nichts anderes übrig, als es gesammelt der Staatsanwaltschaft zu übergeben.