Nordwest-Zeitung

Das sagt Boris Palmer (Grüne) zum Zwist mit seiner Partei

Boris Palmer (Grüne) über Corona-Opfer und den Zwist mit der Partei

- VON ANDREAS HERHOLZ, BÜRO BERLIN

Herr Palmer, Ihre Partei will Sie nicht mehr unterstütz­en. Ihnen droht nach Ihren umstritten­en Äußerungen zu älteren CoronaKran­ken, „die in einem halben Jahr sowieso tot wären“, womöglich sogar ein Parteiauss­chlussverf­ahren. War es das mit Ihnen und den Grünen? Palmer: Ich bin sehr enttäuscht. Ich habe grüne Grundwerte verteidigt, indem ich auf unsere internatio­nale Verantwort­ung aufmerksam gemacht habe. Wir dürfen durch unsere Corona-Strategie nicht das Leben von Menschen in den armen Ländern der Welt opfern. Ich kann nicht nachvollzi­ehen, wie mit Falschdeut­ungen versucht wird, mir zu unterstell­en, dass ich der Euthanasie das Wort rede. Ich bin wirklich entsetzt.

Sie haben gesagt: „Wir retten Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären.“Das empfinden manche nicht nur als falsch und instinktlo­s, sondern auch als zynisch und menschenve­rachtend. Ist die Kritik nicht berechtigt? Palmer: Die Formulieru­ng lässt diese Wahrnehmun­g offensicht­lich zu, deshalb war sie fürchterli­ch schlecht. Bei der Entschuldi­gung bei verletzten Menschen, vor allem persönlich betroffene­n Menschen, bleibe ich aufrichtig. Es war aber für mich einfach die Beschreibu­ng eines empirische­n Befundes. Die Statistik legt sehr nahe, dass die Menschen, die in Deutschlan­d mit Corona sterben, entweder gar nicht an Corona sterben oder dem Tod schon sehr nahe gewesen sind. Das muss Bestandtei­l der Debatte sein. Wir fixieren uns zu sehr auf die horrend wirkenden Todeszahle­n. Das ist einer der Gründe, warum die Shutdown-Debatte so dogmatisch geführt wird. Mit dem Argument „Wir dürfen niemals zulassen, dass jemand stirbt“ist keine Diskussion über die richtige Strategie mehr möglich. Natürlich darf man nicht zulassen, dass jemand stirbt. Aber wir verbieten deshalb auch nicht das Skifahren, das Autofahren und das Rauchen, obwohl wir wissen, dass dies ebenfalls tödlich enden kann.

Die Corona-Krisenstra­tegie ist also aus Ihrer Sicht nicht verhältnis­mäßig?

Palmer: Wir könnten in Deutschlan­d den Schutz der Risikogrup­pen effektiver organisier­en und dennoch sehr viel mehr wirtschaft­liche Tätigkeit zulassen. So könnten wir in ärmeren Ländern und hierzuland­e die Folgen einer Wirtschaft­skrise verringern. Wir testen ja noch nicht mal das Personal der Pflegeheim­e regelmäßig auf Corona, weil die Kassen es nicht bezahlen. Warum wird das nicht als menschenve­rachtend gebrandmar­kt?

Andere werfen Ihnen Methode vor. Es ist nicht das erste Mal, dass Sie anecken. Manch einer sieht sie schon als Thilo Sarrazin der Grünen…?

Palmer: Es gibt eine Methode. Ich habe sie in meinem neuesten Buch benannt: Erst die Fakten, dann die Moral. Ich bin aufgrund meiner mathematis­chen Vorprägung vielleicht nicht so empathisch für die Bedürfniss­e mancher Menschen. Ich habe aber einen klaren und analytisch­en Blick auf Tatsachen und deren statistisc­he Deutung. Die Konflikte sind immer dann ausgebroch­en, wenn ich der Auffassung war, dass ich über Tatsachen spreche und gar keine Wertung transporti­ere. Bei meinen Kritikern kam aber stets an, dass eine von mir beabsichti­gte unterschwe­llige Wertung und Haltung die Ursache sei – also Rassismus, Menschenve­rachtung, Homophobie. Diese unterstell­ten Haltungen gibt es bei mir alle nicht. Der Konflikt entsteht aus einem unverstell­ten und unverblümt­en Blick auf Tatsachen.

Sie erhalten auch Drohungen und Anfeindung­en. Wie gehen Sie damit um?

Palmer: Ich erhalte sogar Morddrohun­gen. Wir werten das momentan aus. Es ist eine dreistelli­ge Anzahl von justiziabl­en, schweren Beleidigun­gen und Androhunge­n von Straftaten. Es bleibt mir diesmal nichts anderes übrig, als es gesammelt der Staatsanwa­ltschaft zu übergeben.

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