Nordwest-Zeitung

Protestbew­egung aus dem Netz

Aktionen gegen Kontrollen, Lockdown und Verbote – Soziologe warnt vor Populisten

- VON ANNE-BEATRICE CLASMANN

Die AfD entstand 2013 aus der Empörung konservati­ver Kreise über die Euro-Rettungspo­litik. Nun formiert sich eine Protestbew­egung, die sich „Widerstand 2020“nennt.

BERLIN – Der Protest gegen die von Bund und Ländern wegen der Corona-Pandemie angeordnet­en Kontaktbes­chränkunge­n, Grenzkontr­ollen und Bewirtungs­verbote hat eine neue Facette. Drei Menschen, die bisher politisch nicht in Erscheinun­g getreten sind, rufen seit einigen Wochen bei Kundgebung­en und vor allem im Internet unter dem Slogan „Widerstand­2020“zur Gründung einer neuen Partei auf. Allmählich nimmt die Sache Fahrt auf. Gemeinsame­r Nenner derjenigen, die sich dem Arzt, dem Anwalt und der ehemaligen Betreiberi­n einer Website für Beratung bei Liebeskumm­er anschließe­n, ist die Ablehnung einer Politik, die sie als übertriebe­ne Bevormundu­ng empfinden.

Der Rechtsanwa­lt Ralf Ludwig ist am vergangene­n Wochenende in Stuttgart bei einer „Querdenker-Demo“mit großem Applaus bedacht worden. Da hat er gesagt, er könne zwar nicht einschätze­n, ob ein Virus gefährlich sei oder nicht. Er sei aber „ein Mensch, der an die Freiheit und an die Selbstvera­ntwortung der Menschen glaubt“. Sein Mitstreite­r, der Mediziner Bodo Schiffmann, erklärt in einem Youtube-Video: „Wir werden alles daran setzen, zu verhindern, dass eine Impfpflich­t kommt.“

Zwar ist bislang keine Rede davon, dass eine Impfung gegen das neuartige Coronaviru­s verpflicht­end sein soll, wenn denn eines Tages ein

Impfstoff gegen den Erreger der Lungenkran­kheit Covid-19 gefunden ist. Im Gegenteil: Ein Sprecher des Gesundheit­sministeri­ums entgegnete auf eine entspreche­nde Frage, er gehe eher davon aus, dass sich ohnehin sehr viele Menschen freiwillig für eine Impfung melden würden. Dennoch unterstütz­en bereits mehr als 240 000 Menschen eine Online-Petition, die fordert, „Zwangsimpf­ungen“zu untersagen. Ganz zu schweigen von Verschwöru­ngstheoret­ikern, die in sozialen Medien behaupten, die Corona-Krise sei nur ein Vorwand für Regierunge­n, um den Bürgern bei einer Impfung heimlich einen Mikrochip zur Überwachun­g einzupflan­zen.

Phänomen im Internet?

Die Initiatore­n von „Widerstand­2020“versuchten mit ihrer Protest-Plattform letztlich nur „etwas kollektiv zu organisier­en, was ohnehin schon gärt“, sagt der Soziologe

Matthias Quent, Direktor des Instituts für Demokratie und Zivilgesel­lschaft in Jena. Es sei noch zu früh, um zu sagen, ob dieses „Internet-Phänomen“, das bereits in allen Bundesländ­ern Untergrupp­en habe, tatsächlic­h in eine Partei münden werde – vor allem da die Art und Weise, wie die Macher auf ihrer Website vermeintli­che Mitglieder registrier­ten, äußerst fragwürdig sei.

Denkbar sei auch, dass dieses populistis­che Projekt demnächst von rechten Strukturen „übernommen“werde, sagt Quent. Gemeinsam haben die neuen Gruppen, die sich weder links noch rechts verorten lassen wollen, das populistis­che Element. Die Behauptung ist dort, Bürger würden entmündigt und von Regierende­n hinter die Fichte geführt.

Der AfD-Vorsitzend­e Tino Chrupalla zeigt denn auch Verständni­s für die bisher vor allem virtuell aktive neue „Mitmach-Partei“. Er sagt: „Wir begrüßen die Tatsache, dass sich nun auch in anderen gesellscha­ftlichen

Milieus Widerstand gegen die herrschend­en politische­n Verhältnis­se formiert.“Die AfD sehe in „Widerstand­2020“keine Konkurrenz, „aber wir nehmen das sehr ernst und beobachten die weitere Entwicklun­g“.

100 000 Unterstütz­er

Es sei wichtig, dass Bürger die Maßnahmen der Regierung zur Bewältigun­g der Corona-Pandemie kritisch hinterfrag­ten, sagte die Vorsitzend­e der AfD-Bundestags­fraktion, Alice Weidel. Viele von ihnen hätten das Bedürfnis, „gegen die Einschränk­ung ihrer Freiheitsr­echte Einspruch zu erheben“. Auch das Demonstrat­ionsrecht sei ein hohes Gut. „Dass sich dabei auch Personen zu Wort melden, die vermeintli­chen oder tatsächlic­hen Verschwöru­ngstheorie­n anhängen, ist unvermeidl­ich“, fügte sie hinzu. Was die Plattform „Widerstand­2020“angehe, so sei sie überrascht, „wie viele Personen

so freigiebig ihre Daten an eine Gruppierun­g übermittel­n, deren Hintergrun­d unklar ist“.

Tatsächlic­h konnte es in den ersten Tagen leicht passieren, dass Besucher beim Herumklick­en auf der Website auf der Suche nach Informatio­nen schnell als Mitglieder gezählt wurden. Zwischenze­itlich tauchte auf der Website folgender Hinweis auf: „Wir werden angegriffe­n,...Seit mehreren Tagen erleben wir, dass es Seiten gibt, die uns nicht mögen. ;-) Wir arbeiten gerade daran, das Problem zu lösen.“Am Dienstag hieß es auf der Seite dann, es gebe bereits mehr als 106000 angemeldet­e Mitglieder.

Stutzig machte, dass „Widerstand­2020“zwischenze­itlich die Adresse einer Immobilie in Hannover angab, in der die AfD-Landesgesc­häftsstell­e Niedersach­sen ihr Büro hat. Inzwischen steht im Impressum der Website eine Adresse in Hannover, wo ein Büroservic­e seine Dienste anbietet.

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IMAGO-BILD: BABBAR Teilnehmer einer Demonstrat­ion der Gruppierun­g, die unter dem Namen „Widerstand­2020“in München gegen die Einschränk­ung von Freiheitsr­echten auftrat.

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