Nordwest-Zeitung

Dieses Drehbuch konnte sich niemand ausdenken

Festival Cannes fehlt in diesen Tagen nicht nur Cineasten – Verleihern bricht Markt weg

- VON ALIKI NASSOUFIS

BERLIN/CANNES – Die Croisette bleibt in diesem Jahr ungewöhnli­ch leer. Eigentlich würde das Filmfest Cannes bald mit viel Wirbel an dem mit Palmen gesäumten Prachtboul­evard starten. Schauspiel­stars und Regisseure, Journalist­en und Fotografen aus der ganzen Welt wären auf dem Weg an die Côte d’Azur, wo das glamouröse Festival am 12. Mai eröffnet werden sollte. Dann kam die Corona-Krise und das Festival wurde abgesagt – ein herber Schlag für die Filmschaff­enden, gehören die Festspiele in Cannes doch zu den wichtigste­n Events der Branche weltweit. Wie geht es nun weiter mit dem Filmfest, den Filmen und den Kinos?

Im vergangene­n Jahr folgte beim Festival eine hochkaräti­ge Premiere auf die nächste. Elton John liefen bei „Rocketman“die Tränen über die Wangen, Leonardo DiCaprio, Brad Pitt und Quentin TarantiFré­maux

no sorgten mit „Once Upon a Time in Hollywood“für einen Ausnahmezu­stand am roten Teppich, und der Südkoreane­r Bong Joon-ho gewann mit seiner Satire „Parasite“die Goldene Palme – und später dann vier Oscars.

Nun herrscht so etwas wie eine Schockstar­re. Das Verhalten der Organisato­ren des Festivals Cannes ist dabei symptomati­sch für die gesamte Branche. Man zögerte lange, erst in der zweiten Märzhälfte

wurde verkündet, dass das Filmfest nicht im Mai stattfinde­n, aber auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden solle. Man denke über Ende Juni, Anfang Juli nach, hieß es – doch auch das scheint mittlerwei­le vom Tisch.

„Niemand weiß derzeit, was die zweite Jahreshälf­te bringt und ob es möglich sein wird, große Filmevents, inklusive das Festival in Cannes, in 2020 zu organisier­en“, erklärte der künstleris­che Leiter Thierry

kürzlich. Wann und ob Cannes überhaupt in diesem Jahr starten wird, ist unklar. Das wäre ein Novum: Die Goldene Palme wird seit 1955 vergeben, seitdem fanden die Festspiele jedes Jahr statt.

Cannes ist eine wichtige Plattform für Stars und die Filmschaff­enden aus Hollywood und des weltweiten Autorenkin­os. Dabei geht es in Cannes aber nicht nur um den Glamour – das Festival ist eine enorm wichtige wirtschaft­liche Größe. Auf dem Filmmarkt, der ebenfalls dazugehört, werden die Werke in die ganze Welt verkauft und millionens­chwere Deals abgeschlos­sen. Nun probiert Cannes etwas Neues und organisier­t eine Online-Version: Vom 22. bis 26. Juni soll es für Einkäufer die Möglichkei­t geben, neue Filme zu sehen und Verträge auszuhande­ln.

Denn auch das ist die bittere Realität für Cannes: Die Organisato­ren dürften schon Hunderte Filme gesichtet haben, wahrschein­lich stand die engere Auswahl bereits fest. Fachblätte­rn zufolge waren Filme wie Wes Andersons „The French Dispatch“mit Tilda Swinton, Timothée Chalamet und Bill Murray so gut wie gesetzt, auch François Ozon, Nanni Moretti, Thomas Vinterberg und Franka Potente waren im Gespräch.

Nun zittert die Branche und kämpft mit der Unsicherhe­it der derzeitige­n Situation. Solange die Kinos weltweit nicht wiedereröf­fnen, werden die Studios nur ungern neue Filme herausbrin­gen, weil das ihre Einnahmen schmälern wird. Die Oscars kündigten bereits an, dass beim nächsten Mal ausnahmswe­ise auch Filme im Rennen sein können, die nicht in Kinos, sondern nur online ihre Premiere feierten. Das allerdings verschärft den seit Jahren schwelende­n Streit mit Streamingd­iensten und Onlineausw­ertungen – und ist nicht nur aus wirtschaft­licher Sicht eine Gefahr.

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BILD: CAER Wie einst im Mai: Leonardo DiCaprio (links) und Brad Pitt sorgten 2019 in Cannes für den Ausnahmezu­stand.

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