Gejubelt wird nur in den Lagern
Hunderttausende von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern feiern die Befreiung
Zum Teil über viele Jahre litten Menschen auch im Nordwesten in den Lagern der Nationalsozialisten. Für sie bedeutet die Ankunft der alliierten Truppen wortwörtlich eine Befreiung.
IM NORDWESTEN – Während die meisten Deutschen zwischen Weser und Ems den Einmarsch der alliierten Truppen aus verständlichen Gründen eher mit gemischten Gefühlen verfolgen, bejubeln Hunderttausende von Kriegsgefangenen, Zwangsarbeitern und KZHäftlingen die Ankunft ihrer Befreier. Für sie endet an diesem Tag eine meist jahrelange Tortur, der auch im Nordwesten in den zwölf Jahren nationalsozialistischer Herrschaft Zehntausende von Menschen zum Opfer gefallen sind.
Flächendeckend waren während des Krieges Häftlinge und Gefangene als billige Arbeitskräfte eingesetzt worden. Die unfassbare Zahl von 30000 Lagern aller Art soll es zwischen 1933 und 1945 in Deutschland gegeben haben. Allein im Emsland sind zwölf Konzentrations-, Straf- und Kriegsgefangenenlager mit etwa 200 000 Insassen belegt. Nach dem Krieg wird die Zahl der Toten in diesen Lagern auf mehr als 25 000 geschätzt werden.
In einem dieser „Emslandlager“, dem KZ Esterwegen westlich von Friesoythe, wird Mitte der 30er Jahre unter anderem auch der Friedensnobelpreisträger Carl von Ossietzky inhaftiert und dermaßen gefoltert, dass er zwei Jahre später an den Folgen stirbt. Doch auch in den anderen Regionen des Nordwestens gibt es Lager, aus denen sich Unternehmen, Bauern und auch Privatleute wie selbstverständlich bedienen, wenn sie
Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge müssen unter anderem auch den U-Boot-Bunker Valentin in Bremen Farge bauen. Nach dem Krieg wird er in Bremen von manchen als 8. Weltwunder gefeiert.
Arbeitskräfte für das Feld, den Betrieb oder ihren Haushalt benötigen.
In Wilhelmshaven wird im September 1944 ein Außenlager des KZ Neuengamme errichtet. Die Häftlinge werden gezwungen, zwölf Stunden täglich bei völlig unzureichender Ernährung und ständigen Schlägen und Schikanen Schwerstarbeit für die Kriegsmarinewerft sowie Aufräumungsarbeiten zu verrichten. Binnen weniger Monaten sterben Hunderte von Menschen, die genaue Zahl ist bis heute unbekannt, wird aber von Historikern auf bis zu 700 geschätzt.
Bunker-Sklaven
Auf bis zu 2000 Menschen wird die Zahl der Opfer beim Bau des U-Boot-Bunkers Valentin in Bremen-Farge beziffert. Auch hier werden Häftlinge aus dem Konzentrationslager Neuengamme eingesetzt und ausgebeutet. Das monströse Bauwerk wird im März 1945 kurz vor der Fertigstellung durch britische Bomber so stark beschädigt, dass die Arbeiten eine Woche später
eingestellt werden.
60 Lager in Oldenburg
Nach Recherchen des Bündnis gegen Rechts Oldenburg gab es allein in der damaligen Gauhauptstadt etwa 60 Lager mit Zehntausenden Gefangenen aller Art. Ihre Hauptaufgabe: Der Bau des Innenstadtrings, der den Militärverkehr aus der Innenstadt heraushalten soll. Laut Katharina Hoffmanns Doktorarbeit aus dem Jahr 1999 ist Zwangsarbeit in Oldenburg bis 1945 „gesellschaftlich akzeptiert“.
Wie das Verhältnis zwischen Deutschen und Verschleppten beim Einmarsch der Alliierten war, beschreibt der Zeitzeuge Carl Woebcken nach dem Krieg folgendermaßen: „Dort, wo die polnischen Gehilfen es gut gehabt hatten, betrugen sie sich meist anständig. Aber wehe dem, bei dem die Behandlung zu wünschen übrig gelassen hatte! Die Misshandlungen waren mitunter schwer.“
Fast wie ein Märchen klingt dagegen, was die Soldaten der 1. Polnischen Panzerdivision nach verlustreichen Gefechten
in halb Europa am 12. April 1945 im Emsland erleben. Im niederländischen Ter Apel an der Grenze zum Emsland wird den Freiwilligentruppen an diesem Tag von einem Niederländer gemeldet, dass sich etwa zehn Kilometer hinter der Grenze in Oberlangen (Emsland) ein Lager mit polnischen Insassen befindet. Das Gebiet ist zu diesem Zeitpunkt noch in deutscher Hand.
1726 Soldatinnen
Aus Furcht, dass die Gefangenen in letzter Sekunde exekutiert werden könnten, entscheidet sich der polnische Oberstleutnant Stanislaw Koszutski ohne Rücksprache mit seinen Vorgesetzten, mit neun Soldaten und einem Panzer das Lager zu befreien. Wie sich herausstellt, befinden sich in Oberlangen 1726 polnische Soldatinnen, die Ende 1944 beim Warschauer Aufstand in Reihen der Heimatarmee 63 Tage lang gegen die deutschen Besatzer gekämpft hatten.
Nach dem Krieg beschreibt Koszutski die Emotionen bei der Begegnung mit den zum Teil schwer verletzten polnischen
Freiheitskämpferinnen wie folgt: „Wir hatten erwartet, ausgemergelte, gespenstisch wirkende KZ-Häftlinge zu finden, vielleicht auch Wahnsinnige, vielleicht kriegsgefangene Männer, eventuell auch einen Hinterhalt – aber Frauen? Hunderte von polnischen Frauen in militärischen Uniformen, die uns plötzlich umringten – das verschlug uns die Sprache.“
Koszutski wird für seinen Mut hoch dekoriert und stirbt am 24. September im Exil in Brasilien. Die meisten der verschleppten Polen und der Freiwilligenarmee kehren nach dem Krieg nicht ins inzwischen kommunistische Polen zurück.
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Der nächste Teil der NWZ-Serie „Kriegsende im Nordwesten“an diesem Freitag handelt von den zerstörten Städten in der Region: „Am Ende liegt fast alles in Trümmern“
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