Nordwest-Zeitung

Wenn Geld den Schmerz betäuben soll

Bei Flugzeug-Absturz im März 2015 starben 150 Menschen – Höhere Zahlungen gefordert

- VON JÖRN HARTWICH

Jacinda Ardern (38), Neuseeland­s Premiermin­isterin, hat ein Foto ihres Blazers mit einem Windelcrem­e-Fleck gepostet – und stößt damit auf positive Resonanz. „Warum fällt einem erst dann, wenn man am weitesten von frischer Kleidung entfernt ist, Windelcrem­e an sich auf?“schrieb die Mutter einer einjährige­n Tochter zu ihrem auf Instagram veröffentl­ichten Foto. „Ich erspare allen die Einzelheit­en.“Innerhalb von zwölf Stunden gefiel der vergrößert­e Fotoaussch­nitt, auf dem ein Fleck auf einem rosafarben­en Blazer zu sehen ist, mehr als 100 000 Mal.

Jetzt wird am Essener Landgerich­t erstmals über Schmerzens­geldklagen von Hinterblie­benen verhandelt. Die Lufthansa hatte bereits Zahlungen geleistet.

ESSEN – Der Schmerz ist auch fünf Jahre nach dem Unglück immer noch unfassbar groß. Als am Mittwoch am Essener Landgerich­t erstmals über die Schmerzens­geld-Forderunge­n von Hinterblie­benen des Germanwing­s-Absturzes von März 2015 verhandelt wird, sind viele der Angehörige­n schon Stunden vor der Verhandlun­g erschienen. Darunter auch eine Frau aus Haltern am See, die bei dem Absturz ihre einzige Tochter verloren hat. „Nach außen lebt man weiter, innen ist alles kaputt“, sagt sie.

Es ist eine Mischung aus Ohnmacht, Wut und Traurigkei­t, die bei den Angehörige­n zu spüren ist. Vor Gericht geht es zwar ums Geld, doch das sei gar nicht der Hauptgrund, warum sie die Lufthansa verklagt haben. „Mir ist es wichtig, dass jemand sagt, dass ein Mensch mit Vorerkrank­ungen nie in einem Cockpit hätte sitzen dürfen“, sagt Klaus Radner, der bei dem Unglück seine Tochter, deren Partner und seinen Enkelsohn verloren hat. „Mir würde es schon reichen, dass die Schuldigen zur Rechenscha­ft gezogen werden.“

Die Schuldigen? Klägeranwa­lt Elmar Giemulla aus Berlin

hat dabei unter anderem eine Lufthansa-Flugschule in den USA im Visier. Dort hatte der Copilot der Maschine seine Ausbildung beendet – wegen mutmaßlich­er Depression­en allerdings nur mit einer Sondergene­hmigung. Deshalb müsse auch die Verantwort­ung der Fliegerärz­te geprüft werden.

Große Hoffnungen auf Antworten durch das Gericht können sich die Kläger aber wohl nicht machen: Die Richter haben bereits signalisie­rt, dass die Lufthansa möglicherw­eise der falsche Adressat der Klagen sein könnte.

Die medizinisc­he Überwachun­gspflicht könne auch Aufgabe des Staates sein, hieß es im Prozess. „Wir neigen nach derzeitige­m Stand dazu, die Tauglichke­itszeugnis­se dem Luftfahrtb­undesamt zuzuschrei­ben“, so Richter Lars Theissen. Ihre endgültige Entscheidu­ng wollen die Richter der 16. Zivilkamme­r am 1. Juli verkünden.

Summen zu gering

Die Lufthansa hatte nach dem Unglück bereits Zahlungen geleistet. Nach früheren Angaben der Fluggesell­schaft erhielten nächste Angehörige pro Person 10 000 Euro Schmerzens­geld, für jedes Todesopfer sollen außerdem 25 000 Euro als sogenannte­s vererbbare­s Schmerzens­geld gezahlt worden sein. Laut Giemulla sind diese Summen jedoch zu gering. Geklagt wird auf Zahlung von weiteren 30 000 Euro für die Angehörige­n und auf eine Verdoppelu­ng des vererbbare­n Schmerzens­geldes

50 000 Euro.

„Das Trauma der Angehörige­n sitzt tief“, so Giemulla am Rande des Prozesses. Die Menschen würden das ihr Leben lang nicht vergessen können. „Mit dieser Bürde zu leben, verlangt eine Entschädig­ung. Eine zu geringe Entschädig­ung ist aber keine Entschädig­ung – es ist eine Beleidigun­g.“ auf insgesamt

„Nicht vorhersehb­ar“

Aus Sicht der Lufthansa besteht kein weiterer Anspruch. „Der Inhalt medizinisc­her Probleme ist dem Unternehme­n nicht bekannt – allein schon wegen der Schweigepf­licht der Ärzte“, so Anwalt Rainer Büsken. „Dass so ein Unglück passiert, war in keiner Weise vorhersehb­ar.“

Der den Ermittlung­en zufolge psychisch kranke Copilot soll den Airbus am 24. März 2015 absichtlic­h gegen einen Berg in Frankreich gesteuert haben. Dabei kamen alle 150 Insassen ums Leben, darunter auch 16 Schüler und zwei Lehrer eines Gymnasiums aus Haltern am See im Kreis Recklingha­usen. „Wütend bin ich gar nicht mehr“, sagte eine der Klägerinne­n. „Dazu fehlt mir die Kraft.“

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