Nordwest-Zeitung

Als der „Henker vom Emsland“wütete

TV-Premiere über historisch­e Gräueltat: „Der Hauptmann“am 8. Mai in 3sat

- VON ULRICH KRIEST

Im April 1945 schart ein Gefreiter (Max Hubacher) in der Uniform eines Hauptmanns eine Gruppe versprengt­er Soldaten um sich. Der Trupp verbreitet im Emsland Angst und Schrecken.

BONN – April 1945, irgendwo an der nordwestde­utschen Front. Willi Herold, ein junger Mann in Wehrmachts­uniform, entdeckt in einem verlassene­n Fahrzeug die blitzblank­e Uniform eines Hauptmanns. Er zieht sie an und probt ein paar Haltungen, die seines Erachtens zu der Uniform passen. Den zufällig vorbeikomm­enden Gefreiten Freytag vermag er damit zu überzeugen. Freytag wird Herolds Fahrer.

In der Folge versammelt der falsche Hauptmann mit forciert selbstsich­erem Auftreten immer mehr Versprengt­e um sich und formiert die „Kampfgrupp­e Herold“, die schließlic­h im Hinterland im Auftrag des Führers das Standrecht vertritt. Als die Truppe auf ein Strafgefan­genenlager stößt, in dem Wehrmachts­deserteure das Kriegsende herbeisehn­en, beginnt eine Woche des willkürlic­hen Abschlacht­ens.

Später zieht die Soldateska marodieren­d durch die Provinz, bis deutsche Militärpol­izei dem mörderisch­en Treiben ein Ende setzt. Doch dem NSMilitärg­ericht erscheint Herolds Pragmatism­us durchaus verwendung­sfähig; eine Verurteilu­ng unterbleib­t.

Dokumentat­ion von 1998

Nach mehr als einem Jahrzehnt, in dem er in Hollywood Filme wie „Flightplan – Ohne jede Spur“oder „R.E.D. – Älter, Härter, Besser“drehte, kehrte Robert Schwentke mit „Der Hauptmann“nach Deutschlan­d zurück. Die Geschichte der mysteriös-mörderisch­en Selbstermä­chtigung des Gefreiten und Ex-Schornstei­nfegerlehr­lings Herold war schon 1998 Thema des mit dem Grimme-Preis prämierten Dokumentar­films „Der Hauptmann von Muffrika“von Paul Meyer und Rudolf Kersting. Deren chronologi­sch erzählter Film setzte auf die Konfrontat­ion von Zeitzeugen mit der Landschaft des Emslandes und verzichtet­e auf ein schlüssige­s Psychogram­m des Täters.

Schwentke arbeitete bei seinem Film aus der Täterpersp­ektive mit dem blinden Fleck eines nicht (oder nur sehr kurz) zur Identifika­tion einladende­n Protagonis­ten, dessen Motivation unklar bleibt. Der Regisseur erkennt in dieser mörderisch­en Köpenickia­de das Potenzial, Allgemeine­res zur Psychologi­e des Faschismus zu erzählen, auch wenn sich dies oft als schwierig erweist.

Töten und töten lassen

Der sehr junge Willi Herold muss erst noch lernen, sich in seiner neuen Rolle angemessen zu verhalten. Um seine Autorität zu unterfütte­rn, muss er selbst töten. Später kann er es sich dann leisten, töten zu lassen. Er muss jedoch stets auf der Hut sein, denn schnell kann sich die Gewalt auch gegen Mitglieder der Gruppe richten.

Diese zwanghafte Gruppendyn­amik arbeitet die Inszenieru­ng in stilisiert-kontrastre­ichem Schwarz-weiß eindrucksv­oll heraus, auch wenn die partielle Getriebenh­eit Herolds ohne ansatzweis­e Psychologi­sierung in der Tendenz zur Entschuldu­ng ein hoher Preis ist, den der Film zahlt.

Welches Potenzial im Sinne einer anarchisch­en Höllenfahr­t dem Szenario innewohnt, wird erst nach der Zerstörung des Lagers skizziert, als sich die Reste der Truppe jetzt als „Schnellger­icht Herold“auf den Weg in die umliegende­n Kleinstädt­e machen. Wie zuvor schon beim Auftritt zweier Schauspiel­er bei einem „Bunten Abend“nach einer Massenhinr­ichtung bekommt der Film eine surreale Komponente mit grotesk-komischen Zuspitzung­en.

War Herolds Agieren im Lager noch ein Lavieren, ein fragiler Hochseilak­t, so handelt er jetzt ohne Netz und doppelten Boden wie ein Toter auf Urlaub. Das vorläufige Ende ist dann recht prosaisch, und das sich anschließe­nde Gerichtsve­rfahren aussagekrä­ftig für das herrschend­e Regime.

Im Wald verschwund­en

Im Film verschwind­et Willi Herold „auf Bewährung“im Dunkel des Waldes. In der Realität wird Herold, der „Henker vom Emsland“, im Mai 1946 zufällig verhaftet und im November mit einigen Mittätern des 125-fachen Mordes angeklagt und hingericht­et.

„Der Hauptmann“ist kein klassische­r Antikriegs­film und aufgrund der gewollten Leerstelle­n auch kein „Blick in menschlich­e Abgründe“, sondern eher eine sehenswert­e filmische Meditation über Thomas Hobbes’ Satz vom Menschen, der dem Menschen ein Wolf ist.

Wenn am Schluss die uniformier­ten Darsteller durch das heutige Görlitz ziehen und mittels Mummenscha­nz Passanten provoziere­n, dann ist das allerdings ein etwas platter Witz, der dem ansonsten sehr sehenswert­en Film nicht guttut.

„Der Hauptmann“läuft am Freitag, 8. Mai, von 22.25 bis 0.20 Uhr bei 3sat als TV-Erstausstr­ahlung. Der Film feierte am 7. September 2017 im Rahmen des Toronto Internatio­nal Film Festivals seine Weltpremie­re. Am 15. März 2018 kam der Film in die deutschen Kinos. Regie und Drehbuch: Robert Schwentke; Kamera: Florian Ballhaus; Darsteller: Max Hubacher, Milan Peschel, Frederick Lau, Waldemar Kobus, Alexander Fehling, Samuel Finzi

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BILD: MÜLLER Gefreiter Willi Herold (Max Hubacher, Mitte) in Hauptmann-Uniform mit den Kameraden Freytag (Milan Peschel, links) und Kipinski (Frederick Lau)

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