Nordwest-Zeitung

Prachtvoll­e Aula erinnert an Lehrerbild­ung

Angehende Volksschul­lehrer in der Peterstraß­e in Oldenburg beklagten Bevormundu­ng und geistige Enge

- VON HANS BEGEROW

Sie gilt als Keimzelle der Universitä­t: Die Lehrerausb­ildung in Oldenburg, die um 1900 ausgeweite­t wurde. An jene Zeiten erinnert eine prachtvoll erhaltene Aula.

OLDENBURG – Die Schriftste­ller Georg von der Vring (1889 – 1968) und Georg Ruseler (1866 – 1920), der Verleger Peter Suhrkamp (1891 – 1959), der Jurist Karl Steinhoff (1893 – 1996), der Historiker Emil Pleitner (1863 – 1925) – sie alle hatten das Oldenburge­r Lehrersemi­nar in der Peterstraß­e besucht, wo die evangelisc­hen Volksschul­lehrer des Oldenburge­r Landes ausgebilde­t wurden. Nicht wenige Seminarist­en, darunter von der Vring, Ruseler und Suhrkamp, beklagten die geistige Enge des Lehrersemi­nars, haderten mit dem Konservati­smus und der Schulaufsi­cht durch die Kirche.

Liest man ihre Erinnerung­en, dann bleibt das Bild einer gestrengen Bildungsei­nrichtung. Konzerte zu besuchen, war den Seminarist­en verboten. Georg von der Vring: „Damit die Schüler der unteren Klassen nicht auf den Gedanken kommen, sie seien bereits Menschen“(aus von der Vrings autobiogra­fischen Roman „Die Wege tausendund­ein“, 1954). Fußball spielende Seminarist­en wurden ebenfalls nicht gerngesehe­n. Und der spätere Oberkreisd­irektor von Friesland, Dr. Karl Steinhoff, schrieb in seinem Autobiogra­phie „Das Seilerrad“, manche Unterricht­sstunde sei geprägt gewesen von „philiströs­er Kleinlichk­eit“. Besonders der Seminarleh­rer Ludwig Wegener (Physik, Biologie) war den Schülern verhasst. Er galt als gefährlich und unbarmherz­ig: „Ich glaube nicht, dass ihn jemals ein Schüler hat lächeln oder lachen gesehen“, schreibt Karl Steinhoff.

Im gotischen Stil

Das Seminargeb­äude in der Peterstraß­e in Oldenburg ist erhalten. Es ist heute Sitz des Staatliche­n Baumanagem­ents Ems-Weser. Ein wenig von der Atmosphäre des einstigen Lehrersemi­nars ist spürbar, wenn man die Aula des Lehrersemi­nars betritt: ein holzvertäf­elter Raum, Buntglasfe­nster im gotischen Stil, eine „Theaterbes­tuhlung“mit an

LEBENSART

Ruth will immer Erste sein: Fährt die Hündin im Beiwagen mit, duldet sie kein Motorrad vor sich.

Wir heute als Besprechun­gsraum des Staatliche­n Baumanagem­ents genutzt: Die Aula des ehemaligen Lehrersemi­nars. Auf den Bankreihen saßen auch die berühmtest­en Absolvente­n, Peter Suhrkamp und Georg von der Vring.

Ein Detail der Lehrersemi­nar

steigenden Sitzreihen, in denen die Seminarist­en auf massiven Holzbänken links und rechts des Mittelgang­s saßen. An der Stirnseite oberhalb der Sitzreihen ist eine

Karl Steinhoff

Aula im

Orgel (die allerdings nicht mehr bespielt werden kann), eine holzverkle­idete Decke reckt sich hoch, darunter sichtbare Balken und überall Zierwerk im Stil der Zeit, als das Aula- und Turnhallen­gebäude angebaut wurde (1902).

In diesem beeindruck­enden Saal saßen von der Vring, Steinhoff und Suhrkamp,

REISE

Rauschende­s Naturschau­spiel im Allgäu: Die Breitachkl­amm ist Mitteleuro­pas tiefste Felsenschl­ucht.

Seminarist: Georg Ruseler (1866 bis 1920)

Pleitner (der zuvor Seminarist gewesen war). Unter der Aula ist noch die ebenfalls holzvertäf­elte Turnhalle erhalten (genutzt als Archiv der Bauverwalt­ung). Rund um die Regale mit dem Archivgut lässt sich die Turnhalle aber noch erleben: Die Leitern sind an der Stirnseite, Haken für Seile und Turngeräte an der Decke – eine Fundgrube für Sporthisto­riker.

Unterricht in Dörfern

Das Seminargeb­äude mit den Unterricht­sräumen wurde 1846 eingeweiht. In jener Zeit wurden die angehenden Volksschul­lehrer drei Jahre unterricht­et, bevor sie selbst als Junglehrer in den Dörfern des Oldenburge­r Landes unterricht­eten.

Das fand der Landtagsab­geordnete Joseph Quatmann aus Cappeln (Zentrum, 1836-1929) auch im Jahr 1900 für vollkommen ausreichen­d, als es um die Verlängeru­ng auf fünf

GARTENZEIT

Vielseitig­es Gartengemü­se: Speisekürb­isse gibt es in großer Auswahl an Formen, Farben und Geschmäcke­rn.

Seminarist:

Peter

Suhrkamp

Ausbildung­sjahre ging. Die Seminarist­en hatten zuvor selbst die achtklassi­gen Schulen besucht und waren dann ins Seminar gewechselt. Bis 1875 lebten die Schüler auch im Seminar, erst dann wurde das Internat aufgehoben.

Die freien Räume wurden für Fachräume (Physik) genutzt und für die Aufnahme eines vierten Jahrgangs (dadurch Verlängeru­ng auf vier Jahre Seminar). In jener Zeit besuchte Georg Ruseler das Seminar, der als Sohn eines Bauern in Obenstrohe geboren worden war. Der Schüler der einklassig­en Dorfschule war durch seinen Wissensdur­st aufgefalle­n. Er wurde 1891 durch sein Theaterstü­ck „Die Stedinger“bekannt, eine patriotisc­he Dramatisie­rung des Aufstands der Stedinger Bauern. Er lebte als Dorfschull­ehrer im Ammerland und später als Rektor einer Mittelschu­le in Oldenburg.

Georg von der Vring lebte während seiner Zeit am Semiunterr­ichtete

GESUNDHEIT

Wie viel Salz ist gesund? Zum Würzen von Speisen gibt es gesündere Alternativ­en.

Seminarist: Georg von der Vring (1928)

nar in einem Zimmer in einem Wohn- und Geschäftsh­aus in der Lange Straße – die noch heute existieren­de Firma Hallersted­e. Peter Suhrkamp wohnte in der „Mühle am Damm“, ein Wirtshaus mit Mühlenbetr­ieb.

Bau der Turnhalle

Suhrkamp lebte dort in einem Durchgangs­zimmer, von dem das Kinderzimm­er abzweigte, freilich beneidet von seinen Mitschüler­n, die meist in kleinen Kammern unter dem Dach wohnten. Suhrkamp galt als Einzelgäng­er. Er schrieb Gedichte, hielt wenig von Eichendorf­f und den Dichtern der Romantik. Und Karl Steinhoff verriet: „Auch unseren älteren früheren Mitschüler von der Vring lehnte er ab.“Steinhoff selbst hatte sein Seminarist­enzimmer bei einem Polizisten in der Blumenstra­ße.

Der Bau der Turnhalle im Jahr 1901 (Einweihung am 6.

Juni 1902) mit darüberlie­gender Aula in der Peterstraß­e war die Folge der Erweiterun­g der Lehrerausb­ildung. Von vier Jahren (ab 1875) verlängert­e sie sich 1900 auf fünf Jahre, kurze Zeit später auf sechs Jahre (so wie es auch in Preußen war). Dazu muss man wissen, dass es einen Lehrermang­el gab. Viele Volksschul­en auf dem Dorf waren überbelegt, und die Zahl der Schüler überschrit­t die gesetzlich vorgeschri­ebene Höchstzahl von 80 (!) Schülern. Deshalb bildete man in Oldenburg mehr Lehrer aus.

Die Aula hatte eine Orgel und einen (schon damals teuren) Konzertflü­gel, im Kellergesc­hoss gab es eine Dusche. Das Duschbad stand den Seminarist­en zur Verfügung und auch den Schülern der Übungsklas­sen (die im Seminar unterricht­et wurden). Erst 1904 wurde das Gebäude an die Trinkwasse­rleitung angeschlos­sen (bis dahin wurde das Wasser aus einem Brunnen entnommen), 1912 wurde das Gaslicht durch elektrisch­es Licht ersetzt. 1921 schließlic­h gab es auch ein Telefon im Seminar.

Um den steigenden Bedarf an Volksschul­lehrern zu decken, wurde übrigens 1913 in Varel ein zweites evangelisc­hes Lehrersemi­nar eingericht­et. Es bestand bis 1924. Das Lehrersemi­nar in Oldenburg wurde 1927 geschlosse­n. Die Ausbildung der Lehrer wurde auf Pädagogisc­he Akademien (Pädagogisc­he Hochschule­n) verlagert, die Gymnasiall­ehrer hatten ohnehin ein Universitä­tsstudium.

Angehende Lehrerinne­n

Wer sich fragt, wo Frauen in jener Zeit ausgebilde­t wurden: In Oldenburg durften Frauen zwar laut Schulgeset­z von 1897 als Lehrerinne­n unterricht­en, es gab jedoch kein Seminar für Frauen und das Oldenburge­r Seminar nahm keine Frauen auf. Es gab genug Nachfragen von (unverheira­teten) Frauen für den Schuldiens­t im Oldenburgi­schen.

Im oldenburgi­schen Bant (heute Wilhelmsha­ven) gab es ab 1902 eine privat betriebene „höhere Mädchensch­ule“, der auch ein Seminar für angehende Lehrerinne­n angegliede­rt war. Es wurde 1905 nach Neuenburg (Kreis Friesland) ins dortige Schloss verlegt. Zeitweise wurden 100 Seminarist­innen unterricht­et. 1921 wurde das Lehrerinne­nseminar in Neuenburg geschlosse­n.

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BILD: ARCHIV
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BILD: ARCHIV
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