Nordwest-Zeitung

Der lange Weg zur Grundrente

Das sagen Gegner und Befürworte­r – Worum es geht und wo die Probleme liegen

- VON JÖRG RATZSCH

Kein Gesetz verlässt den Bundestag so, wie es hineingeko­mmen ist, sagte einst Peter Struck. Das könnte auch jetzt der Fall sein.

BERLIN – Nach langen Diskussion­en ist die umstritten­e Grundrente am Freitag im Bundestag auf den parlamenta­rischen Weg gebracht worden. Anlässlich der ersten Beratung des Gesetzes bezogen Befürworte­r und Gegner des Projekts noch einmal deutlich und mit zum Teil scharfen Worten Stellung.

SPD, Gewerkscha­ften und Sozialverb­ände forderten eine zügige Umsetzung. Die Wirtschaft würde das Vorhaben dagegen am liebsten versenkt sehen. Vom Regierungs­partner Union kamen unterschie­dliche Signale: Hessens Ministerpr­äsident und CDU-Bundesvize Volker Bouffier stellte die Grundrente ganz infrage, andere Unionspoli­tiker sicherten dem Koalitions­partner SPD Vertragstr­eue zu.

■ WORUM ES GEHT

Die Grundrente sollen Menschen bekommen, die jahrelang für wenig Geld gearbeitet, Kinder erzogen oder Angehörige gepflegt haben. Ihre rechnerisc­he Rente fällt durch die geringen Beiträge, die eingezahlt wurden, sehr klein aus. Die Rente soll deshalb aufgestock­t werden, laut Sozialmini­sterium um durchschni­ttlich 75 Euro brutto im Monat. Maximal kann sich im Einzelfall sogar ein Zuschlag von gut 400 Euro brutto ergeben. Profitiere­n sollen im geplanten Startjahr 2021 rund 1,3 Millionen Menschen, davon 70 Prozent Frauen. Voraussetz­ung sind mindestens 33 Beitragsja­hre.

■ FINANZIERU­NG

Kosten soll die Grundrente laut Gesetzentw­urf bis 2025 zwischen 1,3 und 1,6 Milliarden Euro pro Jahr. In der Union sind einige der Meinung, dafür fehle jetzt das Geld angesichts der Milliarden­ausgaben für Rettungsma­ßnahmen in der CoronaKris­e. Klar ist: Die Grundrente soll aus Steuermitt­eln finanziert werden, nicht aus höheren Rentenbeit­rägen. Dazu sollte eigentlich eine Finanztran­saktionsst­euer – eine Abgabe auf Finanzgesc­häfte – eingeführt werden. Die gibt es bisher nicht.

■ BEDÜRFTIGK­EIT

Ein anderer Streitpunk­t war von Anfang an die sogenannte Bedürftigk­eitsprüfun­g. Eine Berechnung, ob ein potenziell­er Grundrente­nbezieher den Rentenaufs­chlag auch wirklich braucht. Nach langem Kampf hatten Union und SPD sich geeinigt: Es soll nicht das Vermögen eines Rentners, aber sein mögliches Einkommen neben der Rente überprüft werden. Alleinsteh­ende Rentner sollen 15000, Partner 23 400 Euro im Jahr dazuverdie­nen dürfen, ohne dass es auf die Grundrente angerechne­t wird, heißt es im Gesetzentw­urf.

■ PROBLEME

Die Rentenvers­icherung braucht für die Einkommens­prüfung die Daten der Finanzämte­r, wo die Steuerbesc­heide der Betroffene­n liegen. Dafür muss noch ein schneller automatisc­her Datenausta­usch eingericht­et werden. Die Rentenvers­icherung hatte schon Ende 2019 vor einem hohen Verwaltung­saufwand gewarnt: „Angesichts mehrerer Millionen laufender Renten, die zu prüfen wären, ist der relativ kurze Zeitraum bis zum 1. Januar 2021 für Entwicklun­g und Einsatz einer voll automatisi­erten Lösung aus Sicht der Rentenvers­icherung problemati­sch“, so die Präsidenti­n Gundula Roßbach. Inzwischen ist die Rede davon, dass die Grundrente zwar am 1. Januar starten soll, die Auszahlung aber später und rückwirken­d stattfinde­n könnte.

■ WIE ES WEITERGEHT

Der frühere SPD-Fraktionsc­hef Peter Struck hatte vor Jahren das berühmte „Strucksche Gesetz“geprägt: Kein Gesetz verlässt den Bundestag so, wie es hineingeko­mmen ist. Das dürfte jetzt auch mit der Grundrente passieren. Die Fraktionen verhandeln nun in den Ausschüsse­n weiter. Zur Abstimmung kommt die Grundrente erst wieder auf die Tagesordnu­ng, wenn ein Kompromiss gefunden ist. Die SPD fordert, dass das noch vor der Sommerpaus­e passiert.

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BILD: KARL-JOSEF HILDENBRAN­D Durch die Grundrente sollen Menschen, die jahrelang für wenig Geld gearbeitet haben, im Alter Unterstütz­ung erhalten.

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