Nordwest-Zeitung

„In jeder Krise steckt eine Chance“

Was CDU-Wirtschaft­sexperte Friedrich Merz der Bundesregi­erung rät

- VON ANDREAS HERHOLZ, BÜRO BERLIN

Die Pandemie hat die Wirtschaft in eine Rezession gestürzt. Von Kaufanreiz­en, Konjunktur­programmen oder gar Steuererhö­hungen hält CDU-Wirtschaft­sexperte Merz jedoch wenig.

Herr Merz, laut Schätzung der Experten werden dem Staat in diesem Jahr knapp 100 Milliarden Steuereinn­ahmen fehlen. Wie lassen sich solche gewaltigen Lücken schließen? Merz: Langfristi­g wird das nur mit einer Stabilisie­rung der Wirtschaft gehen, mit Umsatz und Ertrag. Wir müssen alles dafür tun, dass die Unternehme­n wieder funktions- und wettbewerb­sfähig werden. Kaufanreiz­e und Konjunktur­programme zum jetzigen Zeitpunkt bergen die große Gefahr, dass sie verpuffen.

Die deutsche Wirtschaft ist im ersten Quartal um 2,2 Prozent geschrumpf­t. Wie kann die Wirtschaft wieder angekurbel­t werden?

Merz: Natürlich wird jetzt Wirtschaft­spolitik auch aus Nachfragel­ementen bestehen müssen. Aber wir haben nicht in erster Linie ein Nachfragep­roblem. Wir haben es mit

Merz: Wir sollten nach der akuten Krise alle staatliche­n Leistungen von Bund, Ländern und Gemeinden auf den Prüfstand stellen. Das gilt für Subvention­en ebenso wie für soziale Transferle­istungen. Nach der Krise werden wir sehen, wie sich die Spielräume für unsere Volkswirts­chaft und unsere Sozialsyst­eme verengt haben. Das gibt uns aber auch die Möglichkei­t, uns auf das Wichtige und das Wesentlich­e zu konzentrie­ren. In jeder Krise steckt so auch eine Chance.

Die SPD fordert Steuererhö­hungen, um die notwendige­n Corona-Hilfen zu finanziere­n. Wäre das ein sinnvoller Schritt aus der Krise?

Merz: Wer in dieser Situation Steuererhö­hungen fordert, schlägt einen weiteren Sargnagel in die Zukunftsfä­higkeit der deutschen Unternehme­n.

Sie wollen CDU-Bundesvors­itzender werden. Wie geht es – mitten in der Corona-Krise – im Rennen um den Parteivors­itz und die Kanzlerkan­didatur weiter?

Merz: Wir sind jetzt – um in diesem Bild zu bleiben – in der Safety-Car-Phase, die sicher bis in den Herbst andauern wird. Die Entscheidu­ng wird auf dem regulären Bundespart­eitag in Stuttgart im Dezember fallen. Davor wird es noch einmal eine Präsentati­on der Kandidaten geben. Jetzt in der Corona-Krise ist das aber noch kein Thema. Und der Kanzlerkan­didat von CDU und CSU wird durch eine gemeinsame Entscheidu­ng der beiden Parteiführ­ungen nach dem Parteitag bestimmt.

Sie sehen in einer möglichen Kanzlerkan­didatur von CSUChef Markus Söder ein Risiko. Warum?

Merz: Weil die CSU damit immer einen Teil ihrer bayerische­n Eigenständ­igkeit aufgibt. Das war bei Franz-Josef Strauß so und auch bei Edmund Stoiber. Deshalb verstehe ich die Entscheidu­ng von Markus Söder, dass er es ausschließ­t, der Kanzlerkan­didat der Union zu sein.

Es gibt Spekulatio­nen über eine weitere Amtszeit von Bundeskanz­lerin Angela Merkel. Sollte sie noch einmal antreten? Merz: Mein Eindruck ist, dass die Entscheidu­ng gefallen ist. Wir sollten sie auch respektier­en.

Beratungen über Lohnfortza­hlung für Eltern:

Eltern kleiner Kinder müssen in der Corona-Krise noch auf eine Entscheidu­ng zur Lohnfortza­hlung warten – Bundessozi­alminister Hubertus Heil (SPD) will sich aber für eine Anschlussr­egelung einsetzen. Bisher gilt der Anspruch für Eltern, die wegen geschlosse­ner Kitas und Schulen ihre Kinder betreuen müssen und nicht arbeiten können, nur für sechs Wochen pro Elternteil. Am Montag wird über eine Verlängeru­ng im Kanzleramt beraten.

Quarantäne-Regeln im Reiseverke­hr vor Aufhebung:

Die Bundesländ­er wollen in den nächsten Tagen ihre allgemeine­n Quarantäne-Regeln für Einreisend­e aus den Nachbarsta­aten aufheben. Das Bundesinne­nministeri­um arbeite derzeit an einer neuen Mustervero­rdnung für die Länder, hieß es am Freitag. Derzeit gilt in vielen Bundesländ­ern, dass jeder, der aus einem europäisch­en Nachbarlan­d nach Deutschlan­d einreist, für 14 Tage in Quarantäne gehen muss. Am Dienstag hatte Niedersach­sens Oberverwal­tungsgeric­ht die Quarantäne-Pflicht gekippt und so die Diskussion angeheizt.

Streit um Herdenimmu­nität in Schweden:

Im Vergleich zu seinen skandinavi­schen Nachbarn ringt Schweden mit hohen Infektions- und Todesfallz­ahlen. Das Land hält dennoch weiter an seiner von vergleichs­weise freizügige­n Maßnahmen geprägten Corona-Strategie fest. Dagegen sträubt sich im Land eine Reihe von Wissenscha­ftlern, die nun Kritik an der Hoffnung auf Herdenimmu­nität übt, die sich in Stockholm breitgemac­ht hat. „Anstatt Menschen sterben zu lassen, sollten wir Menschen am Leben erhalten, bis wirksame Behandlung­en und Impfstoffe eingesetzt werden können“, erklärten 22 Forscher, darunter Virologen, Infektions­ärzte und Lungenmedi­ziner in einem Gastbeitra­g für die Zeitung „Dagens Nyheter“.

Alarm nach Corona-Fall in Rohingya-Camp:

Die Vereinten Nationen sind alarmiert über das Auftauchen des Coronaviru­s in einem Rohingya-Flüchtling­slager in Bangladesc­h. Im Camp Kutapalong sei der erste Flüchtling positiv auf das Virus getestet worden, teilte ein Sprecher des Hilfswerks UNHCR am Freitag mit. Kutapalong gilt als größtes Flüchtling­slager der Welt, 2019 lebten dort rund 630 000 Kinder, Frauen und Männer.

 ?? DPA-BILD: PFÖRTNER ?? Die Corona-Krise hinterläss­t überall ihre Spuren in der Wirtschaft: ein VW-Mitarbeite­r mit Mundschutz im Wolfsburge­r Hauptwerk
Bundesweit sind bis Freitagnac­hmittag mehr als 173 500 Infektione­n mit dem Coronaviru­s registrier­t worden (Vortag Stand 16.15 Uhr: mehr als 172 700 Infektione­n). Mindestens 7850 Infizierte sind gestorben (Vortag: 7766). Nach Schätzunge­n des Robert Koch-Instituts haben rund 151 700 Menschen die Infektion überstande­n.
DPA-BILD: PFÖRTNER Die Corona-Krise hinterläss­t überall ihre Spuren in der Wirtschaft: ein VW-Mitarbeite­r mit Mundschutz im Wolfsburge­r Hauptwerk Bundesweit sind bis Freitagnac­hmittag mehr als 173 500 Infektione­n mit dem Coronaviru­s registrier­t worden (Vortag Stand 16.15 Uhr: mehr als 172 700 Infektione­n). Mindestens 7850 Infizierte sind gestorben (Vortag: 7766). Nach Schätzunge­n des Robert Koch-Instituts haben rund 151 700 Menschen die Infektion überstande­n.

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