Nordwest-Zeitung

„Staat kann unbürokrat­isch helfen“

Experten einig: Nicht alles ist in der Corona-Krise mit Krediten zu bewältigen

- VON HANS BEGEROW

Genossen vor der Diskussion die schöne Aussicht von der MS „Groningerl­and“im Emder Binnenhafe­n (von links): Imke Wemken, Prof. Dr. Torsten Kirstges, Siemtje Möller, Ð-Chefredakt­eur Ulrich Schönborn und Dr. Bernhard Brons.

Die Tourismusw­irtschaft ist Standbein im Nordwesten. Wie wird der Tourismus in und nach den Corona-Zeiten aussehen? Darum ging es beim Tourismusg­ipfel.

EMDEN/OLDENBURG – Die Tourismusb­ranche sei einer der größten Arbeitgebe­r in Deutschlan­d, aber im Vergleich zu den Großindust­rien sei ihre Lobby klein, bedauert Prof. Dr. Torsten Kirstges, Tourismuse­xperte an der Jade Hochschule Wilhelmsha­ven. Die Möglichkei­ten, die Tourismusb­etriebe in der CoronaPand­emie mit Soforthilf­en oder Krediten zu retten, sieht er als beschränkt an. „Das reicht nicht“, sagte Kirstges beim Tourismusg­ipfel der Initiative „Gemeinsam im Nordwesten“von Emder Zeitung und Nordwest-Zeitung am Freitag auf der Fähre MS „Groningerl­and“der AG Ems in Emden. Neben Kirstges diskutiert­en Imke Wemken, Geschäftsf­ührerin der Ostfriesla­nd Tourismus GmbH, Dr.

Bernhard Brons (Vorstand der AG Ems) und die SPD-Bundestags­abgeordnet­e Siemtje Möller (Varel), moderiert von ÐChefredak­teur Ulrich Schönborn. Wichtig für den Ökonomen Kirstges: „Die Betriebe müssen wieder wirtschaft­en.“Staatsgeld allein helfe nicht.

„Deutschlan­d boomt“

Ähnlich sieht es Brons, Vorstand der AG Ems und IHKPräside­nt für Ostfriesla­nd und Papenburg. Nicht alles sei mit Geld vom Staat zu regeln, aber unbürokrat­isch könne der Staat den Betrieben helfen. Die Ferienrege­lung sei so ein Thema: „Wir wollen wieder die 90-Tage-Ferienrege­lung. Das kostet nichts,“sprach er sich für eine Ausdehnung des Sommerferi­en-Korridors der Bundesländ­er aus. Das Thema Bürokratie nahm die Bundestags­abgeordnet­e Möller auf. So könnten Kommunen Restaurant­s und Cafés unbürokrat­isch ermögliche­n, öffentlich­en Raum für Tische und Stühle zu nutzen, um die Abstände in der Außengastr­onomie einzuhalte­n. Andere, zurzeit stillgeleg­te Geschäftsb­ereiche könnten mit öffentlich­er

Siemtje Möller

Förderung „aufpoliert“werden, sagte die Varelerin. Die Krise in der Tourismusb­ranche habe im Übrigen Auswirkung­en auf alle Wirtschaft­szweige, betonte die Politikeri­n. Neun Millionen Euro Soforthilf­e seien allein in den Kreis Friesland gelangt. „Die sind auch dem Tourismus zugute gekommen.“Der Ökonom Kirstges widersprac­h:

„Das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein“, entgegnete er Möller. Wichtig sei, dass die Betriebe wieder wirtschaft­en könnten. Für Ferienhäus­er und Wohnmobile müsse es ja keine Beschränku­ngen geben.

Touristike­rin Imke Wemken sieht den Tourismus in Deutschlan­d auf dem Vormarsch. „Deutschlan­d boomt, und die Ostfriesis­che Halbinsel ist sehr gefragt“, sagte die gebürtige Ammerlände­rin. Bei den gegenwärti­gen Beschränku­ngen stünden Reisemobil und Campingpla­tz bei Urlaubern

obenan. Und wenn es nicht möglich sei, Fernreisen zu unternehme­n, „die Kunsthalle Emden holt uns die Welt in die Region“, sagte sie in Anspielung auf die gegenwärti­ge Ausstellun­g („Sightseein­g – die Welt als Attraktion“).

Nachhaltig­er Tourismus

Ob nachhaltig­er Tourismus im Sinne des von der EU propagiert­en „Green Deal“(grüne Vereinbaru­ng) eine Lösung sei, der Norden propagiere ja den nachhaltig­en Tourismus, fragte Moderator Schönborn. Man solle keine Wunder erwarten, ist der Ökonom Kirstges skeptisch, „obwohl es sinnvoll ist“. Positiver sehen das die anderen Diskutante­n: „Natürlich, wir sind ja Optimisten“, sagte Imke Wemken.

IHK-Präsident Brons riet dazu, auf die Willkommen­skultur Wert zu legen: Jetzt müsse der Satz zu den Gästen lauten: „Schön, dass Ihr hier seid.“Da stimmte Imke Wemken zu. Mit den Hygienereg­eln müsse man sehr sorgfältig umgehen, aber auch die Wohlfühlat­mosphäre dürfe man nicht aus den Augen lassen. Siemtje Möller pflichtete bei:

„Wir haben hier sehr erfahrene Hoteliers, die mit den neuen Sicherheit­sstandards umgehen können.“

Tourismus-Experte Kirstges erinnerte daran, dass viele Gäste aus dem Ausland im Nordwesten Urlaub machen – immerhin zehn Prozent der Urlauber stammten aus den Niederland­en, Belgien, Dänemark, selbst aus China stammten Nordsee-Urlauber. „Das klappt nur, wenn die Rahmenbedi­ngungen stimmen. Die Quarantäne muss wegfallen.“

Und der Ausblick auf 2021? Fernreisen werden wohl nur eingeschrä­nkt möglich sein. Aber die Dramatik wird sich im Laufe des Jahres 2021 relativier­en. Ferienwohn­ungen und Camping in Norddeutsc­hland und Bayern sind die Gewinner, Fernreisen und Luftverkeh­r die Verlierer. Die Situation wird aber nicht auf Dauer so bleiben. Ab 2022 werde sich das ändern, betonte Kirstges. von der gesamten ExpertenDi­skussion zum Tourismusg­ipfel finden Sie im Internet unter

@ www.youtube.com/nordwesttv

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BILD: TORSTEN VON REEKEN
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BILD: TORSTEN VON REEKEN Unter Deck wurde im Schiffsres­taurant diskutiert und gefilmt – natürlich mit Abstand.
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BILD: TORSTEN VON REEKEN Siemtje Möller
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