Nordwest-Zeitung

Karlsruhe verordnet BND mehr Kontrolle

Was das Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts für die Arbeit der Geheimdien­ste bedeutet

- VON ANJA SEMMELROCH

Mit einer Klage in Karlsruhe weisen Journalist­en den Bundesnach­richtendie­nst in die Schranken. Für die Reform bleibt nicht viel Zeit.

KARLSRUHE – Der Bundesnach­richtendie­nst (BND) muss sich bei seinen weltweiten Überwachun­gsaktivitä­ten künftig an strikte Regeln halten und wird strenger kontrollie­rt. Das Bundesverf­assungsger­icht gab der Politik am Dienstag auf, das BND-Gesetz wegen zahlreiche­r Defizite bis spätestens Ende 2021 grundlegen­d zu überarbeit­en. Die Handlungsf­ähigkeit des deutschen Auslandsge­heimdienst­es soll dadurch nicht beeinträch­tigt werden (Az. 1 BvR 2835/17).

Völlig unzureiche­nd

Konkret geht es um die Vorschrift­en für die sogenannte strategisc­he Fernmeldea­ufklärung im Ausland. Dabei durchforst­et der BND ohne bestimmten Verdacht große Datenström­e auf interessan­te Informatio­nen. Laut BND werden jeden Tag ungefähr 154 000 Kommunikat­ionsbezieh­ungen erfasst, von denen sich am Ende etwa 260 als relevant herausstel­len.

Deutsche Bürger dürfen nicht auf diese Weise überwacht werden. Der BND versucht deshalb, ihre Kommunikat­ion vor der inhaltlich­en Auswertung auszusorti­eren.

Die gewonnenen Daten werden auch für ausländisc­he Partnerdie­nste ausgewerte­t oder an diese weitergege­ben.

Früher gab es dafür überhaupt keine rechtliche Grundlage. Erst als Reaktion auf die Enthüllung­en des US-Whistleblo­wers

Edward Snowden im NSA-Skandal hatte die Politik das Gesetz reformiert und die Befugnisse des BND Ende 2016 geregelt.

Diese Vorschrift­en sind allerdings völlig unzureiche­nd, wie jetzt die Prüfung der Richter ergab. Sie entschiede­n zum ersten Mal, dass sich der Staat und damit der BND auch im Ausland an die Grundrecht­e halten muss. Damit können sich Menschen weltweit auf das deutsche Fernmeldeg­eheimnis und die deutsche Pressefrei­heit berufen.

Die anlasslose Massenüber­wachung bleibt aber grundsätzl­ich möglich. Der künftige Gerichtspr­äsident Stephan Harbarth rechtferti­gte das bei der Urteilsver­kündung mit dem „überragend­en öffentlich­en Interesse an einer wirksamen Auslandsau­fklärung im Interesse der außen- und sicherheit­spolitisch­en Handlungsf­ähigkeit der Bundesrepu­blik“.

Die Richter sehen die Überwachun­g trotzdem als schweren Eingriff, „weil mit ihr heimlich in persönlich­e Kommunikat­ionsbezieh­ungen eingedrung­en wird“. Der Gesetzgebe­r muss die BND-Befugnisse deshalb viel genauer regeln und begrenzen. Das betrifft eine Vielzahl an Einzelpunk­ten:

Zum Beispiel dürfen Verbindung­sdaten höchstens ein halbes Jahr lang gespeicher­t werden. Die vertraulic­he Kommunikat­ion bestimmter Berufsgrup­pen wie Anwälte und Journalist­en muss besonders geschützt werden. Sehr private Inhalte sind unverzügli­ch zu löschen, wenn sie BND-Mitarbeite­rn ins Netz gehen.

„Schwarzer Tag“

Auch für den Datenausta­usch und die Kooperatio­n mit ausländisc­hen Partnern machen die Richter Vorgaben. Sie pochen insbesonde­re auf die „Einhaltung elementare­r menschenre­chtlicher Grundsätze“. Außerdem soll eine eigenständ­ige, starke Kontrollin­stanz entstehen, die dem BND auf die Finger schaut.

Der BND will „Regierung und Parlament bei der erforderli­chen Anpassung von Gesetzen nach Kräften unterstütz­en“. „Niemand hat ein größeres Interesse daran, auf rechtlich sicherem Grunde zu handeln, als der BND selbst“, erklärte der aktuelle BND-Präsident Bruno Kahl. Der frühere BND-Präsident August Hanning sagte der „Bild“-Zeitung: „Das ist ein schwarzer Tag für den BND und die Sicherheit unseres Landes.“

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DPA-BILD: DECK Auf Abstand im Gericht (von links): Yvonne Ott, Susanne Baer, Johannes Masing, Stephan Harbarth, Andreas Paulus und Gabriele Britz

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