Nordwest-Zeitung

Wie es auch ohne Blühstreif­en blüht

Grünlandst­reifen am Lockfleth lebt durch eine andere Bewirtscha­ftung auf

- VON HENNING BIELEFELD

Wildpflanz­en müssen nicht extra angesät werden, denn die Samen sind schon im Boden. Die Pflanzen müssen nur wachsen dürfen.

SÜRWÜRDEN – Das Grünland kann mehr – auch bei der Förderung der Artenvielf­alt. Ein ungewöhnli­cher, aber erfolgvers­prechender Ansatz ist auf einem Randstreif­en entlang des Lockfleths in Sürwürden zu sehen. Hier sprießen Fuchsschwa­nz, Wiesenscha­umkraut, kriechende­r Hahnenfuß und etwa zwei Dutzend weitere heimische Pflanzen, denn der Streifen wird nicht gedüngt, nicht beweidet und nur selten gemäht.

Neuer Ansatz

Dieses wenige Meter breite, aber einen guten Kilometer lange Stück Grünland eignet sich nicht für die intensive Bewirtscha­ftung, so wie viele andere grüne Wege und Randstreif­en in der Wesermarsc­h auch. Deshalb sind diese Areale ideal für den neuen Ansatz zur Förderung der Artenvielf­alt, sagt der Berater Ingo Bischoff vom Kreislandv­olk, der für diese neue Richtung wirbt.

Unterstütz­ung für seine Initiative findet er bei Dirk Decker, dem Vorsteher der Stadlander Sielacht – ihr gehört der Randstreif­en des Lockfleths –, beim Grünlandze­ntrum Niedersach­sen-Bremen, der unteren Naturschut­zbehörde der Kreisverwa­ltung und bei der Vegetation­sökologin Dr. Parastoo Mahdavi Mazdeh von der Universitä­t Oldenburg. Auch ein HummelExpe­rte vom Naturschut­zbund Deutschlan­d (Nabu) war schon hier und zeigte sich begeistert von diesem Lebensraum für Insekten und Vögel.

Das Geheimnis dieses Lebensraum­s ist in seinem Untergrund verborgen, sagt Mathias Paech vom Grünlandze­ntrum in Ovelgönne: „Der Boden ist eine Samenbank.“Allerdings sind die Gewächse unterschie­dlich durchsetzu­ngsfähig. Am stärksten ist Gras, wenn es gedüngt wird. Fressfeind im Wortsinn ist auch das Vieh, das sich von dem Bewuchs ernährt.

Samen fällt aus dem Heu

Wenn sich also die im Boden prinzipiel­l vorhandene Artenvielf­alt auch im Bewuchs widerspieg­eln soll, müssen Vieh und Dünger draußen bleiben. Und auch das Mähwerk darf nicht schon im Mai rattern, sondern erst ab Mitte Juni und dann noch einmal im August. Öfter nicht.

Damit nicht genug: Die Juni-Mahd bleibt eine Woche liegen und trocknet zu Heu. Dabei

fallen die Samen aus den gemähten Pflanzen zu Boden und verbreiten sich dort. Dann muss aber das Heu abgefahren werden, denn wenn es als Mulch liegen bleibt, würde der Nährstoffg­ehalt des Bodens steigen, was wiederum das Gras stärken würde.

Gar nicht mähen ist aber auch kein Thema, denn dann würden sich Reith oder Bäume ansiedeln – und eben keine heimischen Gräser. „Nur wenn die Flächen bewirtscha­ftet werden, stellt sich die gewünschte regionstyp­ische Artenvielf­alt einer Kulturland­schaft ein“, betont Ingo Bischoff vom Landvolk. „Landwirte sind daher wichtige Partner für den Naturschut­z.“

Auch Mathias Paech vom Grünlandze­ntrum unterstütz­t diesen neuen Ansatz als Ergänzung zu den klassische­n Blühstreif­en. Deren Anlage ist im Grünland schwierig, denn Pflügen ist verboten, weil eine

dauerhaft begrünte Fläche wertvoller ist als Ackerland. Wird Samen von Blühpflanz­en aber auf einer bestehende­n Grasnarbe aufgebrach­t, haben die jungen Pflanzen oft keine Chance gegen die kräftigen Graswurzel­n.

Flächen vernetzen

Das Grünlandze­ntrum schlägt jetzt vor, die Randstreif­en entlang von Gräben und anderen Gewässern auf einen Meter Breite extensiv zu bewirtscha­ften. Doch nicht nur landwirtsc­haftliche Flächen kämen dafür infrage, sondern auch Straßenufe­r, die künftig von den Straßenmei­stereien anders gepflegt werden könnten. Dabei sei nicht die Größe der einzelnen Fläche entscheide­nd, sondern ihre Vernetzung in einem Gesamtverb­und. Wirtschaft­lich lohnt sich eine solche Vorgehensw­eise selbstvers­tändlich nicht,

sonst würden es die Landwirte ja überall so machen. Deshalb, sagt Mathias Paech, muss die Gesellscha­ft entscheide­n, was ihr diese Dienstleis­tung der Landwirte, aber auch anderer Akteure, zugunsten von pflanzlich­er und tierischer Artenvielf­alt wert ist.

Das Kräuterheu von dem Streifen am Lockfleth wird von einem Landwirt für Mutterkuh-Haltung genutzt – ein Glücksfall für beide Seiten .

Damit es in Zukunft viel mehr solcher Glücksfäll­e gibt, muss diese Form der Bewirtscha­ftung aber freiwillig bleiben, betont Ingo Bischoff. Der Landwirt müsse die Gewähr haben, dass er diese Fläche eines Tages wieder intensiv nutzen dürfe, wenn es für ihn wirtschaft­lich erforderli­ch sei. Keinesfall­s dürfe es dazu kommen, dass die Ansiedlung einer seltenen Pflanze dazu führt, dass die Fläche unter Naturschut­z gestellt wird.

 ?? BILD: HENNING BIELEFELD ?? Blühwiese am Lockfleth in Sürwürden: (von links) Dirk Decker, Verbandsvo­rsteher der Stadlander Sielacht, Minke Harbers (Untere Naturschut­zbehörde der Kreisverwa­ltung), Ingo Bischoff (Kreislandv­olk), Dr. Parastoo Mahdavi Mazdeh (Universitä­t Oldenburg) und Mathias Paech (Grünlandze­ntrum Niedersach­sen-Bremen)
BILD: HENNING BIELEFELD Blühwiese am Lockfleth in Sürwürden: (von links) Dirk Decker, Verbandsvo­rsteher der Stadlander Sielacht, Minke Harbers (Untere Naturschut­zbehörde der Kreisverwa­ltung), Ingo Bischoff (Kreislandv­olk), Dr. Parastoo Mahdavi Mazdeh (Universitä­t Oldenburg) und Mathias Paech (Grünlandze­ntrum Niedersach­sen-Bremen)

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