Nordwest-Zeitung

Zwischen Fiebermess­en und WhatsApp-Fragen

So speziell war der erste Bundesliga-Geister-Spieltag in Corona-Zeiten auch für Journalist­en

- VON LARS BLANCKE

Das DFL-Konzept ist streng – und das ist gut so. Ð-Sportredak­teur Lars Blancke berichtet von einem Tag, der jedem im Stadion in Erinnerung bleiben wird.

BREMEN – Es ist historisch, was sich da am Montagaben­d im Weserstadi­on zugetragen hat. Das erste Geister-Heimspiel in der langen und traditions­reichen Geschichte des SV Werder. Eines also, das in den Geschichts­büchern des Clubs einen Platz finden wird. Und das für jeden im Stadion etwas Spezielles war. Seit sechs Jahren fahre ich für die Ð regelmäßig zu den Heimspiele­n des SV Werder, viele Abläufe sind eine absolute Routine geworden – doch dieses Mal ist alles anders.

Die Vorbereitu­ng hat es bereits in sich. Die Tage vorher informiert mich Werder immer wieder über die umfassende­n Sicherheit­svorkehrun­gen, die Journalist­en (nur zehn Print-Redakteure dürfen ins Stadion) zu beachten haben, über die Hygiene- und Verhaltens­regeln. Am Spieltag selbst sitze ich vor dem „Fragebogen für Einlasskon­trolle im Rahmen der Durchführu­ng

Lars Blancke. des Sonderspie­lbetriebs der Bundesliga und 2. Bundesliga“von der DFL, der ausgefüllt mitzubring­en ist. Darauf bestätige ich unter anderem, dass bei mir kein positiver Nachweis auf das Coronaviru­s vorliegt, ich in den letzten 14 Tagen meines Wissens nach keinen Kontakt mit einer positiv getesteten Person hatte und ich keine Corona-Symptome habe. Überdies hält Werder für den Geisterspi­el-Abend fest: Kein Arbeits- und Aufenthalt­sraum, kein Catering, keine Mixed-Zone mit Spielern – striktes Durchgehen auf den Arbeitspla­tz unter Einhaltung aller festgelegt­en Regeln.

Schon die Anfahrt hat etwas Spezielles – sie geht unglaublic­h schnell. Der Stau kurz vor dem Weserstadi­on ist bei mir seit sechs Jahren ein unwillken

Abstand halten, Gesichtsma­ske 90 Minuten lang tragen: Ð-Sportredak­teur Lars Blancke (rechts) sitzt neben Lars Reinefeld (Deutsche Presse-Agentur) auf der umgebauten Pressetrib­üne im Bremer Weserstadi­on.

Ritual – dieses Mal sind die Spuren frei. Noch spezieller: Die vielen grün-weißen Trikotträg­er auf den letzten Kilometern, die am Straßenran­d diese besondere Atmosphäre hin zum Weserstadi­on erzeugen, fehlen. Werder-Trainer Florian Kohfeldt wird später feststelle­n, dass das „Elektrisie­rende“auf der Anfahrt gefehlt habe. Nichts fühlt sich hier an wie ein Bundesliga-Spieltag, sondern alles wie ein Frühsommer­abend prädestini­ert für einen relaxten Spaziergan­g am Osterdeich. Am Stadion angekommen unterstrei­chen Jogger, Radfahrer, Inliner und kleinere Sportgrupp­en das Bild eines gewöhnlich­en Montagaben­ds. ■

Dass hier gleich ein Bundesliga­spiel unter den skeptische­n Augen vieler Politiker (vor allem aus Bremen selbst) stattfinde­t und der öffentlich­e Druck enorm ist, erlebe ich in dem Moment, in dem ich den Medieneing­ang betrete. Mehrere Kontrolleu­re (natürlich mit Abstand) empfangen mich. Hände waschen und desinfizie­ren, Gesichtsma­ske aufziehen – dann geht der Gesundheit­scheck los. Zuerst

Die Trainer-PK fand über Leinwand im bereits dunklen Stadion statt.

heißt es: Stirn hinhalten, Fieber messen. „Sieht gut aus“, sagt mir der nette Mann in gelber Weste am Check-In – es fühlt sich ein wenig an wie am Flughafen-Gate. Es folgt die Taschen-Kontrolle, dann gebe ich meinen ausgefüllt­en Gesundheit­sbogen ab, erhalte zwei weitere Mund-NasenMaske­n und ein Desinfek

tionsmitte­l sowie die Anweisung, direkt zu meinem Platz zu gehen. Der Medienraum auf dem Weg dahin ist gespenstis­ch leer. Dort, wo sich ansonsten auch mal bis zu Hundert Journalist­en um das Kuchen-Buffet ringen und über Fußball plaudern, ist nun das Licht aus, die Plätze leer.

Die Pressetrib­üne wurde von Werder extra umgebaut, um den Abstand zwischen den Journalist­en zu wahren. Jeder hat mindestens zwei Meter Platz zu seinem Nebenmann, die Gesichtsma­ske muss während des Spiels aufbleiben. Getränke mussten selbst mitgebrach­t und beschrifte­t werden, zwei Security-Leute sind extra darauf abgestellt, dass auf den Tribünen alle Regeln eingehalte­n werden. Nachdem ich meinen Platz eingericht­et habe, zeichnet sich mir ein einzigarti­ges wie seltsames Stimmungsb­ild. Die leeren Stadionrän­ge. Die Spieler auf dem Rasen, die sich schon beim Warmmachen lautstark heiß machen. Das dumpfe Geräusch des Balles bei jedem Pass, das man normal nicht hört. Die laut spielende Stadionmus­ik, die völlig fehl am Platz wirkt. Und die Anspannung bei allen Beteiligte­n, die sogar unter den Gesichtsma­skommenes

zwar nicht zu sehen aber offenkundi­g wird. Das sind Bilder, die bleiben werden.

Auch wenn jegliche Emotionen am TV-Bildschirm aufgrund des leeren Stadions versanden, so bekomme ich doch den Eindruck, dass das Spiel während der 90 Minuten jenes ist, das Millionen Fans lieben. Was mir gleich auffällt: Werder versucht akustisch zu beeindruck­en, die Profis kommunizie­ren lautstark und viel. Gerade in der Anfangspha­se bekomme ich den Eindruck, dass fast nur die Werder-Spieler zu hören sind. Leverkusen indes besticht mit spielerisc­hem Glanz, hat viel Ballbesitz. Wenn man einem Kai Havertz beim Spielen zusieht, vergisst man das Drumherum zeitweise, sondern sieht einen 20-Jährigen, dem eine große Karriere bevorsteht. Als Leverkusen in der zweiten Halbzeit immer überlegene­r wird, hört man die Bremer Profis längst nicht mehr so deutlich wie zu Beginn. Die Körperspra­che wirkt resigniert, auch Trainer Kohfeldt, der zu Beginn alles daran setzte, sein Team nach vorne zu peitschen und anzutreibe­n, immer wieder lautstark Beifall klatschte bei gelungenen Aktionen, ist inzwischen ruhiger geworden.

Ein kleiner Misston auf der Tribüne zeigt indes, wie ernst die Hygienereg­eln umgesetzt werden sollen. Eine der Security-Frauen weist einen Kollegen mehrmals darauf hin, dass er seine Gesichtsma­ske doch auch über die Nase zu ziehen habe. Er beschwert sich erst, dass seine Brille beschlage, hält sich dann aber zähneknirs­chend an die Vorschrift. ■

Mit dem Abpfiff wird es noch einmal speziell. Während die Bremer enttäuscht vom Platz schleichen, müssen die Leverkusen­er Reserviste­n noch von Strafraum zu Strafraum sprinten. Das kann ich in aller Ruhe beobachten, weil der Gang in die Mixed-Zone ja wegfällt. Eigentlich hasten die Redakteure nach Spielende schnell in den Innenraum, um mit so vielen Profis wie möglich über das Gesehene zu sprechen. Stattdesse­n bleiben nun alle Journalist­en auf ihrem Platz sitzen – und starren auf ihr Handy. Werder hat nämlich für alle akkreditie­rten Redakteure eine WhatsApp-Gruppe eingericht­et, in der nun bis 15 Minuten nach dem Abpfiff Fragen an Trainer Kohfeldt gestellt werden können – auch das hat es so noch nie gegeben. Das persönlich­e Gespräch fällt weg, stattdesse­n werden die vielen Fragen nach den leichten Fehlern und der schwindend­en Hoffnung im Abstiegska­mpf in das Smartphone gehämmert. zur Stimmung rund um das Weserstadi­on beim ersten Geisterspi­el gibt es unter

@ www.NWZonline.de/fotos-videos

Danach heißt es warten, ein Großteil des Lichts im Weserstadi­on geht bereits aus. Es ist schon nach 23 Uhr, da erscheinen erst Leverkusen­s Coach Peter Bosz und dann Kohfeldt nacheinand­er auf der VideoLeinw­and. Beide bekommen die WhatsApp-Fragen nun von ihrem jeweiligen Pressespre­cher gestellt. Gegen 23.20 Uhr ist die erste virtuelle Pressekonf­erenz nach einem Geisterspi­el im Weserstadi­on vorbei. Alle Journalist­en sind angehalten, direkt einzupacke­n, das Stadion zu verlassen. Während der Heimfahrt schwirrt vieles in meinem Kopf herum, vor allem aber eines: Das alles, was Du hier heute erlebt hast, wird Dir noch jahrelang in Erinnerung bleiben.

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AP-BILD: FRANKLIN
 ?? AP-BILD: FRANKLIN ?? Platz auf den Rängen, Gedränge auf dem Rasen: Es war ein skurriles Bild, das die Bundesliga lieferte.
AP-BILD: FRANKLIN Platz auf den Rängen, Gedränge auf dem Rasen: Es war ein skurriles Bild, das die Bundesliga lieferte.
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BILD: IMAGO Fiebermess­ung am Eingang des Stadions: Jeder Journalist musste zudem einen Gesundheit­sbogen ausfüllen.
 ?? BILD: CARMEN JASPERSEN ?? Stille vor dem Stadion. Wo sich sonst Tausende treffen, waren nur vereinzelt Polizeiwag­en zu sehen.
BILD: CARMEN JASPERSEN Stille vor dem Stadion. Wo sich sonst Tausende treffen, waren nur vereinzelt Polizeiwag­en zu sehen.
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