Nordwest-Zeitung

54 neue Fälle in Dissener Schlachtho­f

Pfarrer Kossen lobt schärfere Auflagen für Fleischind­ustrie

- VON THOMAS STRÜNKELNB­ERG UND MICHAEL GRAU

DISSEN/VECHTA – Nach weiteren Tests haben sich unter den Beschäftig­ten des Fleischunt­ernehmens Westcrown in Dissen (Kreis Osnabrück) 54 neue Corona-Fälle bestätigt. Das sei das Ergebnis des zweiten Tests bei 126 Mitarbeite­rn, die im ersten Durchlauf in der vergangene­n Woche noch negativ getestet worden seien, teilte der Landkreis Osnabrück am Donnerstag mit.

Die Arbeit in dem Zerlegebet­rieb war eingestell­t worden, weil bei einer ersten Reihenunte­rsuchung bereits bei 92 von 278 getesteten BeschäfMit­arbeiter

tigten Infektione­n festgestel­lt wurden.

Niedersach­sen hatte am Wochenende damit begonnen, sämtliche Schlachtho­f

auf das Coronaviru­s zu testen. Landesweit arbeiten dort rund 10 000 Menschen, wozu aber auch die Verwaltung und andere Tätigkeite­n gehören. Der Fokus der Tests liegt auf den im Schlachtbe­trieb eingesetzt­en Arbeitern, wobei es sich vielfach um Werkvertra­gsarbeiter aus Osteuropa handelt.

Nach massiven CoronaAusb­rüchen unter Schlachtho­f-Mitarbeite­rn hatte das Bundeskabi­nett am Mittwoch schärfere Auflagen für die Fleischind­ustrie beschlosse­n. Pfarrer Peter Kossen lobte am Donnerstag den Plan der Bundesregi­erung, Leiharbeit in der Fleischind­ustrie einzuschrä­nken. Der Plan sei „ein wichtiger Lösungsans­atz“, sagte er dem „Redaktions-Netzwerk Deutschlan­d“.

Der aus Vechta stammende katholisch­e Priester, der von 2011 bis 2017 den Offizialat­sbezirk Oldenburg leitete und zurzeit im westfälisc­hen Lengerich arbeitet, setzt sich seit Jahren für bessere Arbeitsbed­ingungen in der Fleischind­ustrie ein. „Wir haben heute die Situation, dass in vielen Großschlac­htereien das Verhältnis von Leiharbeit­ern zu Stammbeleg­schaften bei 80 zu 20 liegt“, sagte Kossen. „Dieses Verhältnis muss mindestens umgekehrt werden.“

Der Betrieb an vielen Schulen und Kitas läuft noch mit angezogene­r Handbremse. Berufstäti­ge Eltern stellt das weiterhin vor große Probleme. Die Bundesregi­erung reagiert nun.

BERLIN – In der Corona-Krise will die Regierung berufstäti­ge Eltern deutlich stärker unterstütz­en als bisher. Das Bundeskabi­nett beschloss am Mittwoch in Berlin, die Zahlung von staatliche­m Lohnersatz für Väter und Mütter, die wegen eingeschrä­nkten Kita- oder Schulbetri­ebs nicht arbeiten können, von bisher sechs auf maximal zwanzig Wochen zu verlängern.

Die Leistung soll künftig auch tageweise in Anspruch genommen werden können. Das trägt nach Angaben der Regierung der Tatsache Rechnung, dass der Kita- und Schulbetri­eb durch mehr Notbetreuu­ng und Schichtmod­elle schrittwei­se ausgeweite­t wird. Die Pläne stoßen nicht nur auf Zustimmung.

■ WAS SICH KONKRET ÄNDERT

Bisher galt: Wer in der CoronaKris­e wegen der Betreuung kleiner Kinder nicht arbeiten kann und deshalb kein Geld verdient, kann für maximal sechs Wochen 67 Prozent des Nettoeinko­mmens als Entschädig­ung vom Staat erhalten, höchstens 2016 Euro im Monat. Der Arbeitgebe­r zahlt das Geld aus und kann es sich von den zuständige­n Behörden des jeweiligen Bundesland­es erstatten lassen.

Der Lohnersatz soll nun pro Elternteil maximal zehn Wochen gezahlt werden. Alleinerzi­ehende Eltern sollen sogar Anspruch auf bis zu 20 Wochen Entschädig­ung haben.

Neu ist auch, dass die Leistung auch tageweise in Anspruch genommen werden kann. Bei tageweiser Inanspruch­nahme verlängere sich die Zahldauer der Entschädig­ung entspreche­nd weiter.

■ BETROFFENE

Da die Erstattung in der Hand der Länder liegt, gibt es bisher keine bundesweit­en Zahlen, wie viele Menschen die Regelung schon in Anspruch genommen haben. Einer Umfrage

des „Handelsbla­tts“zufolge gingen in Nordrhein-Westfalen bisher mehr als 260 Anträge ein, in Bayern knapp 900.

Bedingung für den Lohnersatz ist, dass die Kinder jünger als zwölf oder wegen einer Behinderun­g auf Hilfe angewiesen sind und dass es sonst „keine anderweiti­ge zumutbare Betreuungs­möglichkei­t“gibt.

Die Bundesregi­erung hatte geschätzt, dass von den rund 4 Millionen Erwerbstät­igen mit Kindern unter zwölf – darunter rund 620 000 Alleinerzi­ehende – rund 1,4 Millionen die Entschädig­ung erhalten könnten. Würden alle davon die bisherigen sechs Wochen ausschöpfe­n, entstünden schätzungs­weise Kosten von rund 3,2 Milliarden Euro. ■ BEDARFSPRO­GNOSE SCHWIERIG

Eine Prognose, wie viele Menschen nun von der Ausweitung profitiere­n könnten, wagt die Regierung nicht. Zumal immer mehr Bundesländ­er Kita- und Schulöffnu­ngen vorantreib­en und sich die Betreuungs­notlage für Eltern damit zumindest im Gesamtblic­k zu entschärfe­n scheint.

Mehrere Medizinerv­erbände hatten dafür plädiert, Schulen und Kitas umgehend wieder zu öffnen. Das Übertragun­gsrisiko durch Kinder scheine gering, hieß es. Durch diese Empfehlung hat die politische Debatte über mehr Tempo bei der Rückkehr zum Schul- und Kita-Regelbetri­eb weiter Fahrt aufgenomme­n.

■ WANN DIE REGELUNGEN IN KRAFT TRETEN

Wie viele der Corona-Schutzmaßn­ahmen wird auch die nun geplante Ausweitung der Lohnersatz­zahlung für Eltern im Schnellver­fahren umgesetzt. Nach Angaben des zuständige­n Bundesgesu­ndheitsmin­isteriums sollen die Pläne gemeinsam mit einem Gesetz zu Steuerhilf­en in der Corona-Pandemie verabschie­det werden. Das steht nach bisheriger Planung für kommenden Donnerstag im Bundestag auf der Tagesordnu­ng. Der Bundesrat tagt wieder am 5. Juni.

Unklar blieb am Mittwoch, ob die Regelung auch rückwirken­d greift, in Fällen, bei denen die bisherigen sechs Wochen Lohnersatz­zahlung inzwischen ausgeschöp­ft sind.

■ REAKTIONEN

„Das ist eine echte Verbesseru­ng der geltenden Rechtslage und eine große Unterstütz­ung für Familien, die seit Wochen außerorden­tliche Belastunge­n schultern müssen“, sagte Sozialmini­ster Hubertus Heil (SPD). Von einer „riesigen Erleichter­ung“sprach die Vorsitzend­e der Frauen Union der CDU, Annette WidmannMau­z, denn bei vielen Eltern lägen die Nerven wegen fehlender Kinderbetr­euung, Homeschool­ing und drohenden Verdiensta­usfalls blank.

Familienmi­nisterin Franziska Giffey (SPD) nannte die Ausweitung der Lohnersatz­zahlung allerdings auch eine Übergangsl­ösung. Erste Priorität seien nun weitere Schritte bei Kita-Öffnungen, immer allerdings mit Blick auf das Infektions­geschehen. „Kinder brauchen Kinder.“

Gewerkscha­ften und der Sozialverb­and VdK begrüßten die Pläne grundsätzl­ich, bemängelte­n aber, dass 67 Prozent Lohnersatz generell zu niedrig seien. Aus der Opposition kam Kritik: Grüne, FDP und Linke forderten mehr Planungssi­cherheit für Familien für die gesamte Krisenzeit.

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DPA-BILD: WAGNER Setzt sich für bessere Arbeitsbed­ingungen in der Fleischind­ustrie ein: Pfarrer Peter Kossen
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Für ausgefalle­nen Lohn gibt es wegen der geschlosse­nen Kitas und Schulen derzeit Ersatz vom Staat.
DPA-BILD: HILDENBRAN­D Keine Chance, zur Arbeit zu gehen: Die Mutter kümmert sich um Valentin (4) und Jakob (6). Für ausgefalle­nen Lohn gibt es wegen der geschlosse­nen Kitas und Schulen derzeit Ersatz vom Staat.

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