Nordwest-Zeitung

Zweitägige Flucht durch Niedersach­sen

Häftlinge überwältig­ten JVA-Beamten und entkamen

- VON CHRISTINA STICHT

CELLE/OSNABRÜCK/HANNOVER – Zwei Häftlinge überwältig­ten einen Justizvoll­zugsbeamte­n, verlangten einen Sportwagen und fuhren fast zwei Tage lang kreuz und quer durch Niedersach­sen: Vor 25 Jahren sorgten die beiden Schwerverb­recher mit einem Ausbruch aus dem Gefängnis in Celle für Angst und Schrecken. Am 23. Mai 1995 fand die ziellose Flucht ein Ende: Spezialkrä­fte der Polizei rammten das Auto der Gangster an einer roten Ampel in Osnabrück und befreiten die Geisel.

„Der Fall ist für mich im Rückblick genauso gefährlich und schrecklic­h wie damals“, sagt Heidi Merk (75), die damals niedersäch­sische Justizmini­sterin war. Sie habe überlegt, sich im Austausch für den JVA-Bedienstet­en in die Hände der Gangster zu begeben. „Davon wurde mir dringend abgeraten.“Dafür habe sie mit den Geiselnehm­ern telefonier­t. „Sie waren gleichgült­ig, dreist und von nichts abzubringe­n“, sagt Merk rückblicke­nd.

Der 21. Mai 1995 war ein Sonntag: In der Bibliothek der JVA Celle brachten die 37 und 38 Jahre alten Gefangenen den Justizvoll­zugsbeamte­n in ihre Gewalt. Sie drohten, die Geisel umzubringe­n, falls die Polizei das Gefängnis stürmen sollte.

Außerdem verlangte das Duo ein Funktelefo­n, ein schnelles Fluchtauto sowie 200 000 Mark (102 000 Euro). Am Abend raste ein dunkelblau­er Porsche vom Anstaltsge­lände, verfolgt von Polizeiwag­en. Journalist­en und Schaulusti­ge belagerten zu diesem Zeitpunkt bereits das Gefängnis. Das Verhalten einiger Medienvert­reter sei „völlig daneben“gewesen, erinnert sich Merk. Die Kamerateam­s hätten die Geiselnehm­er geradezu angestache­lt.

Der 38 Jahre alte Ausbrecher war bereits elf Jahre zuvor mit einer Geisel aus dem Celler Gefängnis entkommen und kurz darauf wieder gefasst worden. Damals hatte er sein Opfer mit einer selbst gebastelte­n Handgranat­e in Schach gehalten. Deshalb ging die Polizei auch 1995 davon aus, dass die Entführer selbst gebaute Waffen dabei hatten. Während ihrer Flucht telefonier­ten sie mehrmals mit einem Fernsehsen­der und verhandelt­en am Telefon mit der Polizei. In Bad Eilsen an der A2 im Landkreis Schaumburg ließen sie den Porsche stehen und wechselten in einen gestohlene­n VW Golf. In der Innenstadt von Osnabrück griff die Polizei schließlic­h zu, weil das Leben der Geisel auf dem Spiel stand, wie die Beamten später begründete­n.

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