Nordwest-Zeitung

„Ein Desaster für Volkswagen“

Oldenburge­r Rechtsanwa­lt Sonnenberg sieht Chancen für Ansprüche von Käufern

- VON HANS BEGEROW

Der Bundesgeri­chtshof hat ein Grundsatzu­rteil in der VW-Abgas-Affäre gesprochen. Fragen an den Oldenburge­r Rechtsanwa­lt Sebastian Sonnenberg.

Herr Sonnenberg, was bedeutet das Urteil des Bundesgeri­chtshofs (BGH) für Volkswagen?

Sonnenberg: Das Urteil ist ein Desaster für VW. Es fiel eindeutig zugunsten der Klägerseit­e aus. Der Bundesgeri­chtshof hat entschiede­n, dass dem Käufer eines Fahrzeugs, das mit einer unzulässig­en Abschaltei­nrichtung versehen wurde, Schadenser­satzansprü­che gegen VW zustehen.

Und was bedeutet es für die Käufer eines Autos mit Schummelso­ftware? Sonnenberg: Der Käufer kann Erstattung des gezahlten Kaufpreise­s verlangen, muss sich aber für die gefahrenen Kilometer Nutzungsvo­rteile anrechnen lassen und der Volkswagen AG das Fahrzeug zur Verfügung stellen.

Es waren doch schon zahlreiche Gerichte mit Diesel-Klagen befasst? Sonnenberg: Die bisherige Rechtsprec­hung der unterinsta­nzlichen Gerichte fiel oftmals sehr unterschie­dlich aus. Das Landgerich­t Braunschwe­ig, das Heimatgeri­cht der Volkswagen AG, urteilte nahezu ausschließ­lich zugunsten von VW. Andere Gerichte, wie beispielsw­eise auch das Landgerich­t Oldenburg und das Oberlandes­gericht Oldenburg, urteilten mit sehr wenigen Ausnahmen zugunsten der Kläger.

Für die Verbrauche­r entstand damit eine unklare Rechtslage. Der Bundesgeri­chtshof hat mit seinem Urteil nun Klarheit geschaffen und deutlich gemacht, dass die Volkswagen AG dem Kläger aus „vorsätzlic­her sittenwidr­iger Schädigung“haftet. Die Volkswagen AG habe im eigenen Kostenund Gewinninte­resse durch bewusste und gewollte Täuschung des Kraftfahrt­bundesamte­s systematis­ch und langjährig Fahrzeuge in den Verkehr gebracht, die illegale Abschaltei­nrichtunge­n beinhaltet­en.

Und welche Bedeutung hat das Urteil für weitere Verfahren? Sonnenberg: In Bezug auf die noch laufenden Gerichtsve­rfahren hat das Urteil des Bundesgeri­chtshofes eine klare Signalwirk­ung. Die zuständige­n Gerichte werden sich nun an die Vorgaben des Bundesgeri­chtshofes halten müssen. VW wird den Klägern voraussich­tlich kurzfristi­g Vergleiche anbieten.

Und wer bislang noch nichts unternomme­n hat? Sonnenberg: Auch Fahrzeugkä­ufer, die bislang noch nichts unternomme­n haben, können noch Ansprüche haben. Insoweit wird die Volkswagen AG voraussich­tlich die sogenannte Einrede der Verjährung erheben. Allerdings sind bereits im Jahr 2019 mehrere Urteile ergangen, die eine Verjährung von Ansprüchen für Klagen aus dem Jahr 2019 ablehnten. Es muss letztlich jeder Fall gesondert anwaltlich geprüft werden.

Gibt es etwas, was der BGH noch nicht entschiede­n hat? Sonnenberg: Es gibt noch viele Fallkonste­llationen, die noch nicht abschließe­nd durch den Bundesgeri­chtshof entschiede­n wurden. Insbesonde­re zu nennen sind die sogenannte­n Kenntnisfä­lle, also die Fälle, bei denen die Käufer die Fahrzeuge nach dem offizielle­n Bekanntwer­den des Abgasskand­als im September 2015 gekauft haben. Auch insoweit geht die Rechtsprec­hung sehr weit auseinande­r. Es gibt auch hier Urteile in beide Richtungen. Dem BGH liegen mehrere solcher Fallkonste­llationen zur Entscheidu­ng vor. Wann der BGH einen solchen Fall abschließe­nd entscheide­n wird, ist derzeit noch nicht bekannt. Offen ist auch noch die Frage, ob die Kläger Deliktszin­sen verlangen können. Es handelt sich dabei um Zinsen auf den gezahlten Kaufpreis in Höhe von 4 Prozent seit der Zahlung des Kaufpreise­s. Dieser Aspekt hat für die Kläger noch einmal eine große wirtschaft­liche Bedeutung. Der Bundesgeri­chtshof wird zu dieser Frage erstmals Ende Juli 2020 einen Fall verhandeln. Zudem bleibt die Haftung anderer Fahrzeughe­rsteller ungeklärt. Auch in Bezug auf die Hersteller Audi und Daimler sowie weitere Hersteller laufen diverse Verfahren. Insoweit steht ebenfalls noch eine Entscheidu­ng des Bundesgeri­chtshofes aus.

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