Warum es in Paraguay ein Team „Friesland“gibt
Nachfahren von Auswanderern organisieren eigene Liga – Plattdeutsch und Hochdeutsch weit verbreitet
Bei den Fußballspielen wird angefeuert und gelitten. Das vielerorts übliche Stadionbier gibt es allerdings nicht.
BERLIN – Wenn Fernheim gegen Friesland oder Sommerfeld gegen Bergthal spielt, dann ist man nicht etwa in der deutschen Fußball-Kreisliga, sondern in Paraguay. Doch warum gibt es in der Mitte Südamerikas Orte und Fußballvereine mit deutschen Namen?
Alles begann in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts im heute zu den Niederlanden gehörenden Teil von Friesland. Dort lebte und wirkte der Prediger Menno Simons (14961561), der sich – durch die reformatorischen Schriften Martin Luthers beeinflusst – von der katholischen Kirche löste und statt der Kindstaufe die selbstbestimmte Erwachsenentaufe propagierte. Außerdem predigte er absolute Gewaltfreiheit. Dazu gehörte auch die Verweigerung von jeglichem Militärdienst. Nach und nach konnte er immer mehr Anhänger um sich scharen, die eine neue protestantische Glaubensgemeinschaft bildeten und sich „Mennoniten“nannten. Schon bald wurden die Mennoniten aufgrund ihrer neuen Ideen verfolgt.
Immer auf der Suche nach Siedlungsgebieten, in denen sie ihren Glauben ausleben konnten und vom Militärdienst verschont blieben, zogen sie in den folgenden Jahrhunderten durch Norddeutschland, das heutige Polen bis ins russische Zarenreich. Ihre plattdeutsche Sprache gaben sie dabei nie auf. Als
In der Colonia Friesland leben unter anderem die Nachfahren deutscher und niederländischer Auswanderer. Der Ort hat auch ein eigenes Fußballteam.
das Leben auch im Zarenreich und später unter den kommunistischen Machthabern der Sowjetunion immer unerträglicher wurde, wanderten die meisten Mennoniten in entlegene Gegenden Nord- und Südamerikas aus. Einige Tausend von ihnen landeten in Paraguay, wo sie ab 1927 unter größten Strapazen, die etliche Menschenleben kosteten, mehrere Kolonien aufbauten.
40 000 Einwohner
Die Kolonien im trockenen Buschland Nord-Paraguays und im klimatisch gemäßigteren Zentrum beziehungsweise Osten des Landes haben sich heute zu wohlhabenden Sied
mit einer Gesamteinwohnerzahl von etwa 40 000 Einwohnern entwickelt. Sie tragen Namen wie Menno, Fernheim, Neuland, Friesland, Volendam, Sommerfeld oder Bergthal. Plattdeutsch und Hochdeutsch sind überall die gängigen Umgangssprachen. Die Unternehmen sind meist genossenschaftlich organisiert und finanzieren auch die Verwaltung und Infrastruktur der Kolonien. Vieles wird untereinander aufgeteilt. Man könnte fast sagen, dass die Mennoniten-Gemeinschaften die einzigen Orte weltweit sind, an denen die ursprüngliche Idee des Sozialismus wirklich funktioniert – und zwar mit Privateigentum.
Es ist bemerkenswert, was die Mennoniten in den abgelegenen Regionen schufen, die erst spät ans staatliche paraguayische Straßen- und Stromnetz angeschlossen wurden. Mittlerweile existieren deutschsprachige Kirchengemeinden, Schulen, Hochschulen, Radiosender, Zeitschriften, Supermärkte, Buchhandlungen oder Krankenhäuser – und nicht zuletzt sogar Fußballvereine, wo die Spieler von den Fans auf Deutsch angefeuert werden. Das Geschehen auf den Rasenplätzen und in den Fußballhallen der Mennoniten unterscheidet sich nicht sehr von dem bei Sportwettkämpfen in Deutschland. Doch einige kleilungen ne Unterschiede gibt es trotzdem: Einerseits werden Spiele häufig erst nach Einbruch der Dunkelheit mit Flutlicht ausgetragen, weil die Sonne tagsüber zu sehr brennt. Andererseits trinken die Zuschauer aus religiösen Gründen kaum Alkohol. Am beliebtesten ist stattdessen Mate-Tee.
Zwei kleine Verbände
In den 1980er-Jahren kamen die Leiter der verschiedenen Mennoniten-Vereine auf die Idee, eigene Fußball-Ligen und Dachorganisationen zu gründen, und zwar eine namens MENEFEPA für die Kolonien im Norden und eine zweite namens MFBO für die Kolonien in Zentral- und OstParaguay. Die Bezeichnung MENEFEPA setzt sich aus den Anfangsbuchstaben der vier nördlichen Gründervereine zusammen: MEnno, NEuland, FErnheim und PAratodo. MFBO steht für „Mennonitischer Fußball-Bund Ostparaguay“. Er umfasst die mennonitischen Mannschaften aus Friesland, Volendam, Sommerfeld, Bergthal, Tres Palmas und der Hauptstadt Asunción. Aber auch die Fußballer aus der weniger religiös geprägten deutschsprachigen Kolonie Independencia spielen mit.
Sobald beide regionalen Ligen ihre Sieger ermittelt haben, findet am Jahresende ein Fußballturnier statt, in dem die jeweiligen Meister und Vizemeister von MENEFEPA und MFBO gegeneinander antreten. Die Endausscheidung mit vier Mannschaften zur Krönung des mennonitischen Gesamtsiegers für Paraguay ist nicht nur ein alljährlicher sportlicher Höhepunkt, sondern auch ein Anlass, bei dem sich die deutschstämmigen Familien aus allen Ecken des Landes treffen.
2500 Zuschauer
Das Vierer-Final-Turnier für das Jahr 2019 wurde im November in Loma Plata, dem Hauptort der nördlichen Kolonie Menno, ausgetragen. Es fand zum 37. Mal statt. Von Seiten der MFBO nahmen Sommerfeld und Tres Palmas teil. Die Vereine aus Menno und Fernheim vertraten die MENEFEPA. An zwei Abenden erlebten die rund 2500 Zuschauer bei hohen Temperaturen mitreißenden Fußball. Im Abschlussspiel schoss Kapitän Dickie Bergen das Team vom Sommerfelder Sportverein zum 2:1-Sieg gegen den gastgebenden Menno-Sportverein. So wurden die Fußballer aus der ost-paraguayischen Kolonie Sommerfeld Gesamtmeister aller deutschsprachigen Vereine. Die mehr als vierstündige Fahrt der Mannschaft in den Norden des Landes war somit nicht umsonst.
Ob es 2020 wieder einen Landesmeister geben wird, ist noch unklar, denn auch in Paraguay mussten aufgrund der Corona-Pandemie bereits viele Sportveranstaltungen ausfallen.