Mit der Bibel gegen neue Zeiten
PORTRÄT In Bremen tobt ein Konflikt um den evangelischen Pfarrer Olaf Latzel
Der Eklat kam nicht unerwartet, aber mit einiger Verspätung. Der Pfarrer der Bremer St.-Martini-Gemeinde, Olaf Latzel, soll Homosexuelle als Verbrecher bezeichnet haben. Das geschah schon im Oktober 2019 bei einem Eheseminar, in dessen Verlauf der Satz fiel und seine Einschätzung zur Genderdebatte: „Jetzt erzählen uns irgendwelche verworrenen Politiker, Theologen, Soziologen, Anthropologen, es gibt noch das dritte Geschlecht, ein viertes, fünftes, weiß der Kuckuck was.“
Als die Sache in diesem Frühjahr publik wurde, reagierten viele Bürger empört und der Kirchenausschuss in Bremen leitete schließlich ein Disziplinarverfahren gegen den Pfarrer ein. Das ruht im Augenblick, weil der Staatsschutz gegen Latzel wegen Volksverhetzung ermittelt. Und erst nach Abschluss eines solchen Strafverfahrens würde das Disziplinarverfahren wieder aufgegriffen, erläutert die Pressesprecherin der Bremischen Evangelischen Kirche, Sabine Hatscher.
Der Herr ist sein Hirte?
Latzel selbst möchte sich mit Hinweis auf das gegen ihn vom Kirchenausschuss eingeleitete Disziplinarverfahren gegenüber unserer Zeitung nicht äußern. Seine Absage auf die Bitte um ein Gespräch leitet Latzel mit dem Psalm 23 ein: „Der Herr ist mein Hirte.“
Er hat sich im April in seiner Gemeinde zu den Vorwürfen geäußert. Latzel schreibt: „Die Bibel benennt klar Dinge, die Sünde sind. So z.B. Geldgier, Ehebruch, Neid, Lieblosigkeit, Jähzorn, Rache, Geiz, Trunkenheit oder Unzucht.“Und: „Auch die Homosexualität wird in der Bibel eindeutig als Sünde gekennzeichnet.“
Dabei werde in der St.-MartiniGemeinde unterschieden zwischen der Sünde und dem Sünder. Nein zur Sünde, ja zum Sünder. „Die Homosexualität ist nicht von Gott gewollt“, hat er in einer Bibelstunde, die im Netz verbreitet wird, einmal gesagt. Sie solle
nicht legalisiert oder, wie von der Kirche geschehen, gesegnet werden. Für ihn gehört der Umgang mit der Homosexualität zu den zentralen religiösen Fragen, wie die Frauenordination oder die Abtreibung, die er – daraus macht er keinen Hehl – allesamt ablehnt.
Pastor Latzel ist dabei nicht der einzige, der so denkt. Die Martini-Gemeinde steht hinter dem umstrittenen Seelsorger. St. Martini ist eine von 61 evangelisch-lutherischen Gemeinden in der Bremischen Evangelischen Kirche. „Wir haben andere evangelikale Gemeinden, aber St. Martini ist eine besondere“, sagt Pressesprecherin Hatscher.
Die Sache mit dem Eheseminar ist nicht der einzige Vorfall, bei dem Olaf Latzel Publizität erlangte. 2008 war ein Mitarbeiter der damals gegenüber von St. Martini auf der anderen Weser-Seite gelegenen BelugaReederei verstorben, und die Belegschaft wollte eine Trauerandacht in der ehrwürdigen Kirche veranstalten. Dabei sollte eine Pastorin aus Walle die Andacht halten. Latzel erhob Einspruch. Eine Frau sollte nicht auf der Kanzel predigen. Die Trauerfeier fand in der Kirche statt, aber die Pastorin trug keinen Talar und predigte auch nicht auf der Kanzel.
Dann war da noch die Sache mit der Ökumene. 2015 griff Latzel das berühmte Islam-Wort des früheren Bundespräsidenten Christian Wulff auf. „Der Islam gehört zu Deutschland“, hatte Wulff gesagt. Latzel ging in einer Predigt auf Begrüßungsgottesdienste (etwa für Schulkinder) ein, die man sich auf Youtube noch anhören kann: „Der Islam gehört nicht zu Deutschland. Gemeinsames Gebet mit Pfarrer, Imam und Katholik: Das ist Sünde, und das darf nicht sein.“Das sei „Aufruf zum Religionskampf “, sagte der damalige Bremer Bürgermeister (und Senator für kirchliche Angelegenheiten), Jens Böhrnsen (SPD).
Und nun die Homosexualität. „Es gibt nur zwei Geschlechter. Alles andere ist nicht biblisch“, sagt Latzel zur Genderdebatte und Diskussion um gleichgeschlechtliche Partnerschaften mit kirchlichem Segen. Unterschiede aufweichen, etwa im Kindergarten, wenn die Jungen für einen Tag im Kleidchen kommen sollen? „Total krank. Beide Geschlechter haben ihre Aufgaben.“Mann und Mann? „Solange ich lebe, wird in unserer Kirche nicht auf alles der Segen gelegt.“Latzel sieht freilich Platz für Homosexuelle in seiner Gemeinde, schließlich seien wir alle Sünder. Aber die Homosexualität? „Gott lehnt es ab. Die Homosexualität ist nicht von Gott gewollt.“
Kirche in der Zwickmühle
Und die Bremische Kirche? Sie steckt in einer doppelten Verlierersituation. Sie steht zum einen als Verlierer da, weil das Disziplinarverfahren scheitert, wenn das weltliche Verfahren scheitert. Die Gemeinden sind im Übrigen autonom. Und es gilt die Glaubens-, Gewissens- und Lehrfreiheit. Und die ficht auch für Olaf Latzel. So wie seine Gemeinde hinter ihm steht und seine Unterstützer ihm nach Predigten stehend applaudieren. Und das Disziplinarverfahren – zweite Verlierersituation – verschafft Latzel Publizität, was offenbar Kalkül ist.
Autor dieses Beitrages ist Hans
Begerow. Der Politikchef unserer Zeitung hat auch ein Auge auf das Geschehen in der Region.
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