Sätze fürs Geschichtsbuch
Mit Bilanzen ist das so eine Sache. Die einen wollen sie am liebsten gar nicht offenlegen, andere sind rechtlich dazu verpflichtet, und wiederum andere können es gar nicht abwarten, sie bei der passenden Gelegenheit zu präsentieren. Meistens gibt es dann Hochglanz-Broschüren mit vielen bunten Bildern. An Letzterem orientierte sich auch die niedersächsische Landesregierung.
Als Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und sein Stellvertreter, Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU), nach zweieinhalb Jahren Rot/ Schwarz in Niedersachsen eine Halbzeitbilanz zogen, legte Regierungssprecherin Anke Pörksen den Journalisten ein 32-seitiges, bunt bebildertes Heft „Bilanz und Ausblick“auf den Tisch. Zu sehen sind Bilder voller Lebensfreude und Tatendrang: Da streichelt der Regierungschef ein Pferd. Agrarministerin Barbara Otte-Kinast wirft dem lachenden Umweltminister Olaf Lies einen liebevollen Blick zu. Oder der tatendurstige Wirtschaftsminister diskutiert – natürlich stilgerecht mit Helm auf dem Kopf – mit Werftarbeitern.
Weil die Broschüre erwartungsgemäß wenig Beachtung bei den Reportern fand, legten die Protagonisten nach und gewährten einen Blick hinter die niedersächsischen GroKoKulissen. Trotz Abstandsgebots in der Corona-Pandemie seien SPD und CDU, die sich in mehr als 40 Jahren Landespolitik mit teils harten Bandagen bekämpft haben, noch ein Stück näher zusammengerückt. Tagtäglich halten die Partner nun – zumindest telefonisch – Kontakt, berichtete Althusmann. Am vergangenen Wochenende sei er von Weil mit den Worten am Telefon begrüßt worden: „Ich denke, Du hast mich schon vermisst.“Es menschelt eben in der Koalition. Weils Liebesangebot habe er aber noch nicht angenommen, sagte Althusmann. Und er verriet auch nicht, ob der „niedersächsische Weg“in zweieinhalb Jahren in eine GroKo-Fortsetzung mündet.
Und so ging’s im Parforceritt wieder zur Corona-Krisenbewältigung: Abstand halten, Maskenpflicht, Corona-WarnApp. Eindeutig in der Sache, aber nicht ohne Spitzen. Etwa Weils Pfeil in Richtung der Thüringer Corona-Pläne: „Wir wollen nicht deutscher Lockerungsmeister werden, und wir wollen auch nicht die lockersten Lockerer sein.“Sätze fürs Geschichtsbuch.
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