So lernten Kinder den Krieg zu verstehen
Sonderausstellung zeigt Unterrichtsmaterial nach Kriegsende
Heike Ahlborn, Leiterin des Schulmuseums Bohlenbergerfeld, zeigt die Sonderausstellung „Ende und Anfang: Schule nach 1945 im Spiegel schulischer Medien“; hier ein Schulwandbild, das den Kindern nach Ende des Krieges die Gräueltaten der Nazis aufzeigen sollte.
Ihre ganze Kindheit über wurden Schüler im Nationalsozialismus indoktriniert. Als der Zweite Weltkrieg endete, drehte sich der Spieß: Die Alliierten wollten, dass die Kinder lernen, was da eigentlich passiert ist.
BOHLENBERGERFELD – Schon die Kleinsten lernten in der Zeit des Nationalsozialismus: Juden sind die Wurzel allen Übels, die Deutschen sind die Herrenrasse, Jungen müssen als Soldaten Heldentaten vollbringen, Mädchen gute Mütter werden. „Wenn Sie sich das überlegen, stehen Ihnen die Haare zu Berge“, sagt Heike Ahlborn. Sie ist die Leiterin des Schulmuseums in Bohlenbergerfeld (Kreis Friesland) und hat sich monatelang mit der Schulbildung in den 1940er Jahren beschäftigt – in den Kriegsjahren und nach Kriegsende. Das Schulmuseum zeigt jetzt, 75 Jahre nach Kriegsende, eine spannende Sonderausstellung zu dem Thema.
Von Frühjahr bis Herbst 1945, dem Jahr des Kriegsendes, blieben die Schulen geschlossen. Denn niemand
In dieser Fibel aus der Zeit des Nationalsozialismus ist zu sehen, wie sehr die Kinder schon in jungen Jahren indoktriniert wurden.
wusste, was er den Kindern jetzt noch beibringen sollte. „Alle Schulbücher hatten zur Zeit des Nationalsozialismus ja den Zweck, die Kinder zu indoktrinieren. Da ging es schon in den Fibeln für die Grundschüler um Märsche der SA. Nach dem Krieg gab es kaum noch Schulmaterial, mit dem man den Kindern unpolitisch etwas hätte beibringen können.“
Die Alliierten wollten, dass alle Schulwandbilder und Bücher, die etwas mit politischer Indoktrination zu tun hatten, vernichtet werden. „Aus Mangel an Alternativen haben einige Lehrer aber einfach die kritischen Seiten aus den Büchern
herausgerissen oder Teile von Schulwandbildern abgeschnitten“, sagt Heike Ahlborn. Viele Lehrer wurden im Herbst 1945, als die Schule wieder losging, kreativ: „Einige stellten selbst Fibeln her und schrieben und malten für jedes einzelne Kind Lesebücher.“Sogar eine selbst gemalte Karte von den Gemeinden rund um den Jadebusen hat Heike Ahlborn im Archiv des Schulmuseums gefunden. Die Karte hat ein Lehrer auf die Rückseite eines Schulwandbildes von Hänsel und Gretel gemalt.
Erst als es offizielle Schulbücher gab, die mit dem Vermerk „Genehmigt für den Gebrauch
in Schulen durch die Control Comission for Germany B.E.“gekennzeichnet waren – also mit Genehmigung der Alliierten gedruckte Bücher, konnte der Unterricht wieder richtig beginnen.
Was die Kinder dann lernten, war völlig neu für sie. Statt den Diktator Hitler zu glorifizieren, zeigten die Bücher, wie Demokratie funktioniert und wie ein Gesetz in der Bundesrepublik Deutschland beschlossen wird. „Erstmals kamen auch Menschen aus anderen Ländern in den Schulbüchern vor. Es wurde über den Tellerrand geschaut“, sagt Heike Ahlborn. „Zum ersten Mal hörten die Kinder, was
Menschenrechte sind.“
Und dann war da noch etwas. Die Kinder mussten lernen, dass Deutschland eine Schuld trägt: die Schuld am Tod von Millionen Menschen. Es gibt Schulwandbilder, die die Gräueltaten der SS in den Konzentrationslagern zeigen, solche, die die zerbombten deutschen Städte oder die Propaganda des NS-Regimes thematisieren. Einige der bei der Sonderausstellung gezeigten Schulwandbilder sind exakt Fotografien nachempfunden. „Die Alliierten wollten nichts übertreiben oder beschönigen, sie wollten, dass die Schulbildung nah an der Wahrheit bleibt“, sagt Heike Ahlborn. „Sie haben versucht, das, was passiert ist, so realistisch wie möglich abzubilden.“
Die Leiterin des Schulmuseums freut sich jetzt auf viele Besucher. Wegen der CoronaPandemie gibt es Führungen nur für Gruppen bis maximal zehn Personen. Die Gruppen sollten sich vorher anmelden unter Tel. 04453/1381. Wer keine Führung wünscht, kann auch einfach so ins Schulmuseum an der Wehdestraße 97 kommen. Geöffnet ist es immer samstags und sonntags sowie an Feiertagen von 14 bis 17 Uhr. Die Hygieneregeln müssen eingehalten werden.