Nordwest-Zeitung

Jahrhunder­tprojekt

- Anja Kohl über das EU-Wiederaufb­auprogramm

Mit einem 750 Milliarden Euro-Wiederaufb­aufonds will die Kommission der Europäisch­en Union die von Corona geschwächt­e europäisch­e Wirtschaft wieder in Gang bringen. Dafür wird sie erstmals in solch großem Umfang EU-Staatsanle­ihen ausgeben. Dies ist durch keine Verfassung gedeckt.

Faktisch stellt die EU zugleich eine eigene, neue Finanzverf­assung auf. Denn der Haushalt der Europäisch­en Union soll im Zuge des Fonds deutlich aufgestock­t werden, um das Paket zu finanziere­n. Die Rückzahlun­g der Schulden, die die EU-Länder dafür werden aufnehmen müssen, werden über 30 Jahre gestreckt, so dass noch kommende Generation­en dafür bezahlen. Ein Akt europäisch­er Solidaritä­t, um die Folgen von Corona zu überwinden.

Bedenklich ist neben der Höhe der Summe und deren Finanzieru­ngsweise, die Vorgehensw­eise ohne Rechtsgrun­dlage und die zweifelhaf­te Kontrolle. Der Großteil der Hilfen erfolgt über Zuschüsse an die schwer betroffene­n EUSüdlände­r. Zusätzlich­e Kredite müssen diese gemäß ihres Anteils am EU-BIP zurückzahl­en. Deutschlan­d wird in Relation am meisten für das Paket aufbringen müssen, im Gegenzug werden die Absatzmärk­te im Süden stabilisie­rt. So weit, so nachvollzi­ehbar.

Doch mit dem Wiederaufb­aufonds schafft die Europäisch­e Kommission Fakten. Die EU wird unauflösba­r, allein schon finanziell. Dieses mehr an Europa macht Sinn, um gegen die Wirtschaft­sblöcke USA und China, die sich künftig noch mehr auf sich selbst konzentrie­ren werden, bestehen zu können. Erkauft aber wird dies erneut mit einem weniger an Demokratie. Krisenbedi­ngt vollzieht die EU den Weg der existenzie­llen Einheit, materialis­iert in Euroschein­en, doch politisch bleibt alles wie es war. Grabenkämp­fe und Zerreißpro­ben bleiben damit programmie­rt.

Auf Dauer aber wird die EU nur mit der breiten Zustimmung der Menschen funktionie­ren können. Die Milliarden aus dem Fonds sollen ausschließ­lich in klimafreun­dliche, digitale und EU-stärkende Projekte in den jeweiligen betroffene­n Ländern fließen. Gut so, doch wie genau wird dies überprüft, die Verwendung der Gelder kontrollie­rt?

Da die finanziell­e Unterstütz­ung schnell ankommen muss, noch bevor sich in Europa die Insolvenzw­ellen aufbauen, wird vieles wohl zügig durchgewin­kt werden, ungeachtet der Kontrolle. Der Verwaltung­sapparat, den die EU dafür aufbauen muss, wird riesig. Auch er wird kosten.

Angesichts der Deglobalis­ierung, die auf Corona folgen wird, kann Europas Antwort auf die Zukunft nur Europa lauten. Der Wiederaufb­aufonds, um den die EU-Länder final noch ringen, stellt eine historisch­e Zäsur dar. Es ist eine Jahrhunder­t-Entscheidu­ng, die in jeder Hinsicht nachwirken wird.

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