Geburtsstunde der Kirche diesmal ohne Massenbegeisterung
Zum Pfingstfest schreibt Oberkirchenrat Mucks-Büker über das Altarretabel in der Rasteder Ulrichs-Kirche
Das Pfingstfest steht bevor. Geburtsstunde der Kirche, sagen wir gemeinhin. Ausgießung des Heiligen Geistes. Wo uns immer wieder deutlich gemacht wird, welch wichtige Rolle der Heilige Geist im christlichen Glauben spielt.
Was muss das für eine Aufbruchsstimmung gewesen sein damals: wildfremde Menschen aus allen möglichen Ländern. Alle sprachen durcheinander, aber jeder verstand den anderen. Beseelt, begeistert, kaum zu halten – so soll es gewesen sein, als die Jünger und Jüngerinnen anfingen zu predigen und von Jesus zu erzählen. Irgendwie hat es die Menge gepackt.
In diesem Jahr ist alles anders. Corona macht es eher unwahrscheinlich, dass wir nur annähernd etwas ähnlich Begeisterndes erleben. Zumindest nicht in der Menge. Abstand ist geboten. Massenhysterie oder gar Ekstase sind naunmöglich geworden. Feuerzungen über den Köpfen, so wie sie in der Bildtafel am Altar der St.-Ulrichs-Kirche in Rastede zu sehen sind? Fehlanzeige! Stattdessen ist Kirche wie so viele andere dabei, sich die Köpfe zu zerbrechen darüber, wie es weitergehen soll.
Detlef Mucks-Büker.
Klar scheint indes, dass nichts weitergeht wie zuvor. Neue Regeln bestimmen unser Leben. Ungewissheit, ob wir jemals die Unbeschwertheit vergangener Tage zurückgewinnen werden. Wir erfahren die absolute Zerbrechlichkeit des Lebens hautnah. Die Unsichtbarkeit der Gefährdung durch das Virus macht unser Miteinander doppelt gefährlich. Wie kann man damit leben?
Dass es mit Pfingsten vielleicht ein bisschen anders gemeint gewesen könnte, deutet sich schon mit der Episode über die Himmelfahrt Jesu an. Die Apostelgeschichte erzählt, wie Jesus als Auferstandener den Jüngern den Heiligen Geist ankündigt und dann auf einer Wolke in den Himmel auffährt. Da hinein kommt die Frage an die Zurückbleibenden: „Was steht ihr da und schaut zum Himmel empor?“(Apostelgeschichte 1,11).
Pfingsten hat für mich darum zunächst wenig zu tun mit Höhenflügen und Ekstase. Im Gegenteil: Wer pfingstliche Erfahrungen machen will, sollte die Beine auf dem Boden behalten. Nicht hochschauen und nicht wegschauhezu
St.-Ulrichs-Kirche Rastede, oberste Bildtafel des Altarretabels: das Pfingstereignis Apg. 2.11ff
sondern hinschauen! Die Dinge sehen, wie sie sind. Die Sorgen der Menschen ernst nehmen. Die Angst vieler Berufstätiger, plötzlich vor dem Nichts zu stehen. Helfen, die Ungewissheit über die Zukunft auszuhalten. Aber auch
diejenigen breit unterstützen, die sich in den ganzen letzten Wochen bedingungslos für das Leben eingesetzt haben, selbst unter Einsatz ihrer eigenen Gesundheit. Diejenigen, die zweifelsfrei zu den Verlierern der Krise gehören weren, den, nicht im Regen stehen lassen. Keinen vergessen und zurücklassen, vor allem nicht in irgendwelchen Lagern, an welchen Grenzen auch immer.
Es wäre ein wahres Pfingstwunder, wenn Kirche in diesen Zeiten wieder zu ihrer eigentlichen Bestimmung käme: zur Liebe. Nur die Liebe kann im Verwundeten und Unvollkommenen mehr sehen als Scheitern, Katastrophen und Sinnlosigkeit. Es ist dieser liebende Blick Gottes, der Auferstehung ermöglicht und neue Hoffnung schenkt. Pfingsten verbindet uns mit dem liebevollen Blick Gottes auf die Dinge. „Die Liebe hört niemals auf“, sagt der Apostel Paulus (1. Kor 13,8). Ohne die Liebe wäre Pfingsten nur ein schönes Gefühl, ein berauschendes Event, eine Erfahrung von Abgehoben-Sein. Zu wenig, um Zeiten wie diese heil zu überstehen. Pfingsten ohne das Feuer der Liebe ist nicht denkbar.