Zahlen Rentner zu viel Steuern?
Bundesfinanzhof kündigt Entscheidung zu umstrittener Regelung für dieses Jahr an
Seit 2005 wird das Verfahren zur Rentenbesteuerung nach und nach umgestellt. Dadurch könnte es zu Doppelbesteuerung kommen.
BERLIN – Werden deutsche Rentner vom Fiskus ungebührlich zur Kasse gebeten? Viele der mehr als 20 Millionen Empfänger von gesetzlichen Altersbezügen in Deutschland dürften aus vollstem Herzen Ja sagen. Höchstrichterlich entscheiden, ob es eine verbotene Doppelbesteuerung gibt, wird der Bundesfinanzhof (BFH) in naher Zukunft, vermutlich noch in diesem Jahr. Das zeichnet sich nach Angaben des höchsten deutschen Steuer-Gerichts von Freitag ab. Damit soll juristisch Klarheit in einer seit Langem strittigen Frage geschaffen werden. Die Fakten zur Rentenbesteuerung.
■ Stand des Verfahrens: Der Fall ist brisant. Schließlich geht es um viel Geld, auf das der Staat, der in Zeiten der Corona-Krise mit dramatischen Einnahmeausfällen konfrontiert ist, nicht verzichten will. Daher hat sich Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) in den Fall eingeschaltet. Er darf das, muss es aber nicht. Jedenfalls bekommt sein Haus damit Akteneinsicht. Inzwischen haben die Beteiligten ihre Schriftsätze und Darlegungen weitgehend abgeschlossen. Damit steht eine mündliche Verhandlung an, sofern dem nicht eine der Streitparteien widerspricht. Inhaltliche Details zum konkreten Fall, der Grundlage des Verfahrens ist, wollte der Bundesfinanzhof allerdings mit Hinweis auf das Steuergeheimnis nicht nennen.
■ Veröffentlichung des Urteils: Doch selbst wenn der BFH entschieden hat, wird es wohl noch einige Zeit dauern, bis die breite Öffentlichkeit davon erfährt. Von zwei bis drei Monaten, die es noch ab Urteil dauern könnte, ist die Rede bei dem in München ansässigen Finanzgericht.
■ Umstellung im Besteuerungsverfahren: Zugrunde liegt dem Verfahren die Reform der Rentenbesteuerung von 2005, die auf ein Verfassungsgerichtsurteil von 2002 zurückgeht. Damals wurde der Übergang zur sogenannten „nachgelagerten Besteuerung“von Alterseinkünften eingeläutet. Das bedeutet: Alles, was der Einzelne während des Arbeitslebens für die Altersvorsorge aufwendet, wird nach und nach steuerfrei gestellt. Dafür werden aber die späteren Renteneinkünfte besteuert.
Dieser Weg wird seit dieser Zeit Zug um Zug in einem Übergangszeitraum von 35 Jahren, also bis 2040, umgesetzt. Konkret muss jeder, der seit 2005 oder früher eine gesetzliche Rente bezieht, diese zu 50 Prozent besteuern. Mit jedem weiteren Jahr stieg seitdem der steuerpflichtige Anteil bis 2020, um jährlich zwei Prozentpunkte. Wer im laufenden Jahr Rentner wird, muss somit 80 Prozent seiner Alterseinkünfte versteuern. Bis 2040 erhöht sich der Steueranteil nur noch um jährlich einen Punkt. Ab 2040 unterliegt die Rente ganz dem Zugriff des Fiskus.
■ Anhaltspunkte für Doppelbesteuerung: Die Frage, in der das höchste Finanzgericht im Lande Klarheit schaffen soll, ist die, ob es in diesem langen Übergangsverfahren zum Teil zu einer Doppelbesteuerung
kommt. Diese liegt vor, wenn Rentenbeiträge aus bereits versteuertem Einkommen gezahlt werden und später in der Auszahlungsphase noch einmal besteuert werden. Experten sehen hierfür Anhaltspunkte. Auch der Richter am BFH, Egmont Kulosa, hatte in einem schon etwas länger zurückliegenden Fachkommentar Zweifel geäußert, ob die geltende Rentenbesteuerung in ihrer Gänze verfassungsgemäß sei. Kulosa sitzt dem für Fragen der Altersvorsorge zuständigen 10. Senat des BFH vor.
Mit der Frage hatte sich Anfang des Jahres auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages beschäftigt. Auch er hatte Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit aufgegriffen. Eine pauschale Aussage dazu sei kaum möglich, hatten die Experten unter Berufung auf
die Verfassungsrichter selbst angeführt. Detailfragen bedürften noch der Klärung. Der FDP-Bundestags-Fraktionsvize Christian Dürr (Ganderkesee) hält den Vorwurf der Doppelbesteuerung für gerechtfertigt, wie er unserer Berliner Redaktion sagte. Er forderte von Bundesfinanzminister Scholz mehr Großzügigkeit gegenüber den Rentnern.
■ Auswirkung der Entscheidung: Entscheidet der Bundesfinanzhof in Kürze, dann gilt das erst einmal nur für den Kläger im konkreten Fall. Automatisch Auswirkungen auf alle Rentenbezieher hat das nicht. Die können dann aber – bei einem BFH-Spruch in ihrem Sinne – bei eigenen Klagen sich darauf berufen und haben dann erheblich bessere Chancen. Insofern geht es um eine Entscheidung mit Vorbildcharakter.