Venedig testet umstrittenen Flutschutz
17 Jahre nach Baubeginn werden alle Barrieren getestet – Kritiker befürchten Öko-Kollaps
Der irische Popsänger Ronan Keating („Life Is A Rollercoaster“) fürchtet, dass die CoronaKrise den Umgang der Menschen miteinander nachhaltig verändert. „Ich glaube, wir werden alle ein bisschen anders zueinander sein“, sagte der 43-Jährige in einem Interview. „Ich fürchte, wir werden uns weniger berühren, es wird vielleicht auch weniger Wärme geben.“Keating sorgt sich vor allem um das Zwischenmenschliche. „Ein guter Handschlag bedeutet einfach etwas“, sagte der ehemalige Boyzone-Frontmann. „Wenn man jemanden trifft, will man ihn auch angemessen begrüßen, einen guten Freund mit einer Umarmung. Und ich glaube, das wird sich definitiv verändern.“
US-Schauspielerin Brittany O’Grady glaubt daran, dass New York nach der CoronaPandemie wieder zu altem Glanz zurückfindet. „Ich bin hoffnungsvoll, was eine neue Normalität angeht“, sagte die 24-Jährige, die in der Streaming-Serie „Little Voice“auf Apple TV+ eine aufstrebende Songwriterin in der Millionenmetropole spielt. „Ich hoffe, dass die Menschen künftig einen stärkeren Sinn für Gemeinschaft haben.“Ihrer Rollenfigur Bess möchte O’Grady raten, nicht zu sehr zu verkrampfen: „Man muss so authentisch sein, wie es geht. Jeder Rückschlag ebnet einen neuen Pfad“, sagte sie. „Man darf nicht zu hart mit sich selbst ins Gericht gehen.“
Die skandalumwobene Flutschutzanlage „Mose“feiert Premiere. Doch die Angst vor einem Flop ist groß, das Projekt hat viele Gegner.
Venedig – Langsam erscheinen gelbe Barrieren auf der glatten Wasseroberfläche. An Hochwasser erinnert hier an diesem ruhigen Sommertag rein gar nichts. Doch die Flutschutzanlage „Mose“soll – wie ein Bibel-Prophet – Venedig künftig vor verheerenden Überschwemmungen schützen. Am Freitag wurde das Projekt erstmals komplett getestet und fast 80 mobile Flutschutzbarrieren an drei Laguneneingängen ausgefahren. Es ist ein symbolischer Moment für Venedig. Entsprechend groß war das Aufgebot an Politikern. Selbst Regierungschef Giuseppe Conte kam, um den Test zu eröffnen.
Von außen sieht „Mose“(modulo sperimentale elettromeccanico) unspektakulär aus. In einem Koloss aus grauem Beton ist der Kontrollraum auf einer Insel untergebracht. Dass hier High-Tech das Unesco-Welterbe schützen soll, erschließt sich nicht sofort. Erst unterirdisch lässt sich erahnen, was für ein kompliziertes Unterfangen das ist. In einem etwa 400 Meter langen Gang verlaufen Edelstahlrohre und graue Schläuche. Druckluft soll bei Flut die Barrieren aus dem Wasser heben.
Rund sechs Milliarden Euro soll das kosten – viele befürchten mehr. Seit Jahrzehnten laufen die Planungen, vor etwa 17 Jahren gab es den Spatenstich. Doch Korruption, Bürokratie, politische und wirtschaftliche Eigeninteressen sind ein toxischer Mix, der „Mose“wie so viele andere Großbauprojekte in Italien ins schier Unendliche herauszögert. „Es ist richtig, Zweifel zu haben“, sagte Conte. Nun sollten aber alle auf das Ziel hin
Paola De Michelis (zweite von rechts), Ministerin für Infrastruktur und Verkehr in Italien, und Giuseppe Conte (rechts), Ministerpräsident von Italien, nehmen an der Präsentation des Hochwasserschutzprojekts „Mose“teil. arbeiten, das Projekt endlich zu beenden.
Venedigs Bürgermeister Luigi Brugnaro hält „Mose“für eine großartige „Errungenschaft“und für das Symbol von italienischem „Einfallsreichtum“. Doch auch er weiß, wie heikel das Projekt ist. Zuletzt hatten Tests technische
Schwierigkeiten offenbart, weil Sand die Funktion der Barrieren beeinträchtigt hatte. „Wir sprechen über ein gigantisches Projekt, das niemand auf der Welt vorher gemacht hat“, sagte Brugnaro. Er schiebt das bisherige Chaos auf „Philosophen“und „Intellektuelle“, die nichts von der
Technik verstünden.
Es gibt genügend Gegner der Flutschutzanlage. Wer nur das Wort „Mose“in den Mund nimmt, bekommt Schulterzucken, Abwinken zur Antwort oder eine längere Erklärung über Umweltschutz und das sensible Gleichgewicht in der Lagune . „Nach dem Hochwasser
vom 12. November 2019 haben sie uns gesagt, dass Mose die einzige Lösung sei, um Venedig zu retten: Es ist eine beschämende Lüge. Mose wird die Lagune töten, es wird dieses einzigartige Ökosystem zerstören“, erklärte das Bündnis No Grandi Navi. Einige Gegner fuhren am Freitag aufs Wasser, um zu protestieren. Manch einer befürchtet, dass „Mose“die Stadt schlussendlich noch mehr gefährdet.
Doch dass Venedig einen Hochwasserschutz braucht, hat die letzte Flut deutlich gemacht. Am 12. November zerstörte Flutwasser den größten Teil der Altstadt, zerstörte Kulturmonumente und verschreckte Touristen, von denen Venedig lebt. Es war ein Weckruf für alle, wie gefährdet die wohl schönste Stadt der Welt ist. Denn der Klimawandel bedroht Venedig, davor warnen Wissenschaftler seit Langem. „Mose“sei eine „gute Nachricht für die Welt“, sagte Wasserexperte Giovanni Cecconi, der an der Universität Ca Foscari in Venedig lehrt. „Aber wir müssen schon jetzt über Mose hinaus denken.“