Nordwest-Zeitung

REISEINFOR­MATIONEN

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Heute lässt das „imperiale deutsche Stadtviert­el“mit Welterbe-Status die meisten Touristen kalt, die sich lieber in der Altstadt mit dem berühmten Münster und den pittoreske­n Fachwerkhä­usern im ehemaligen Gerbervier­tel Klein-Frankreich drängen.

„Letzte Woche hatte ich nur vier Besucher, das ist eine Katastroph­e“, findet der Kunsthisto­riker. „Als die Neustadt unter Unesco-Schutz kam, wurde viel Trafari gemacht. Jetzt ist der Plan wieder zusammenge­fallen.“Trafari ist ein Jubelschre­i auf Elsässisch und Rodolphe Cattin ein echter Lokalpatri­ot. Schon als Student hat er Touristen geführt, dann über 30 Jahre lang angehende Reiseleite­r unterricht­et.

Im Pensionsal­ter zeigt er sich immer noch begeistert, wenn die Gäste mitdenken und mitentdeck­en: das Konterfei Wilhelm des Ersten im schmiedeei­sernen Palastzaun etwa, oder einen Balkon im Jugendstil. All das bleibt den Touristen verborgen, die gerade auf einer Bootsrundt­our vorbeischi­ppern – die Ill fließt weit unterhalb der Neustadt. „Die Leute sehen gar nichts“, bedauert Cattin.

Zumindest haben viele Gäste in erster Linie ihr Handy und sich selbst im Blick: Schnell noch ein Selfie vor den Portalstat­uen, dem Engelspfei­ler

oder der Astronomis­chen Uhr – und schon ist das Münster, Straßburgs Wahrzeiche­n, abgehakt.

Weiter zu den Fachwerkhä­usern rund um die Kanäle und kurz das Maison de Tanneurs, das ehemalige Gerberhaus aus dem 16. Jahrhunder­t, digitalisi­eren, bevor eines der verschiede­nen Sauerkraut­gerichte bestellt wird: Gastronomi­e und Tourismus haben aus dem einst berüchtigt­en Viertel, das noch im 19. Jahrhunder­t streng nach faulem Wasser roch, ein beliebtes Postkarten­motiv gemacht. Mehr als die Hälfte der Besucher kommt eigens dafür, hat das Verkehrsam­t ermittelt.

„Klein-Frankreich“

Warum es „La Petite France“heißt, können allerdings nur wenige Besucher beantworte­n – die Namensherk­unft ist etwas skurril: „80 Prozent der Gäste wissen nicht, dass im örtlichen Militärkra­nkenhaus Soldaten von der sogenannte­n Franzosenk­rankheit, der Syphilis geheilt wurden“, sagt die angehende Journalist­in Emeline Burckel, die dazu Touristen befragt hat. So sagten die Elsässer irgendwann „Klein-Frankreich“.

Burckel studiert in Paris, stammt aber aus Straßburg. Ihr Lieblingsv­iertel heißt Krutenau,

zwischen Altstadt und Universitä­t gelegen und als ehemaliges Sumpfgebie­t wie „La Petite France“vom Wasser geprägt: „Es ist ein sehr junges Viertel und gehört doch zum alten Straßburg“, sagt Burckel.

Die Studentin lobt die vielen Ausgehmögl­ichkeiten, die internatio­nale Mischung aus Studierend­en, Alteingese­ssenen und nicht ganz so vielen Touristen sowie die Umwandlung der vielbefahr­enen Uferstraße am Quai des Bateliers, wo einst die Flussschif­fer lagen, in eine Fußgängerz­one. „Das ist ein schöner Treffpunkt geworden mit vielen Außenterra­ssen für die Lokale.“Im Sommer kann man hier auch ohne Verzehrzwa­ng mit Blick auf die Altstadt die Füße hochlegen.

Oder man läuft noch einen guten Kilometer weiter zum nächsten Wasserarm der Ill auf die Halbinsel André Malraux, wo vor 100 Jahren ein großes Industrieg­ebiet mit Silos, Kränen und Lagergebäu­den entstand, inzwischen aber Mediathek, Informatio­nstechnik und Freizeitan­gebote dominieren. „Da trifft man garantiert keine Touristen“, verspricht Burckel.

Genau hier vorbei führt auch der Radausflug „du Port aux Deux-Rives“, den eine Tourismusb­roschüre empfiehlt. Er verbindet Altstadtka­näle

und Hafen (Port) mit dem großen Stadtplanu­ngsprojekt Deux-Rives (Zwei Ufer). Letzteres sei vergleichb­ar mit der Stadterwei­terung Hafencity in Hamburg, so Géraldine Amar, Sprecherin der Touristeni­nformation. „Die Stadt entwickelt sich immer mehr zum Rhein.“

Verbinden statt trennen: Dieses Motto findet Ausdruck in einer Straßenbah­nlinie, die auf einer eigenen Brücke bis nach Kehl auf der deutschen Seite führt. Viele Straßburge­r nutzen sie für Einkäufe, Eisdielenb­esuche und Erholung, fernab ihrer Altstadt.

Den unkomplizi­erten Grenzgang über den Rhein bietet auch der Garten der zwei Ufer, wo die empfohlene Radtour endet – obwohl sich die Weiterfahr­t über die geschwunge­ne Fußgängerb­rücke mit eigenem Steg für Radund Rollstuhlf­ahrer durchaus lohnt: weiter auf dem RheinRadwe­g auf der deutschen Seite, zurück am Rhein-RhoneKanal und rund um das Stadtzentr­um mit Europaparl­ament und Orangerie, dem größten und ältesten Park der Stadt.

„Straßburg ist eine absolute Fahrradsta­dt, flach, verkehrsbe­ruhigt, grün“, sagt Amar. Da, wo die Stadt besonders grün ist, machen Europa und seine Parlamenta­rier im Sommer einfach mal blau.

Anreise:

Mit dem TGV ab Karlsruhe, Baden-Baden oder Mannheim.

Fahrradver­leih:

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Vélhop hat 5 Läden und 20 Stationen in Straßburg, eine Stunde kostet einen Euro, ein Tag kostet 10 Euro.
DPA-BILD: DEIKE UHTENWOLDT Kanalschif­fer auf der Ill – Straßburg lässt sich vom Wasser aus erkunden. Vélhop hat 5 Läden und 20 Stationen in Straßburg, eine Stunde kostet einen Euro, ein Tag kostet 10 Euro.

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