Greta, Wolf und Einzeller
Alexander Kissler im Kampf gegen selbst verschuldete Unmündigkeit
Alexander Kissler ist ein fleißiger Mann: Erst 2019 widmete er sich in „Widerworte“dem Phrasen-Tsunami der Gegenwart. Jetzt nimmt der Redakteur der Berliner Redaktion der „Neuen Zürcher Zeitung“sich die „Infantile Gesellschaft“zur Brust. Beide Texte sind durchaus als Kampfschriften zu lesen – für die Vernunft und für das Ratio, für Klarheit und Aufklärung.
Infantilität also. Das unreife, kindische Verhalten Erwachsener. Unreife werde heute „zum Leitbild erhoben“, der „Kult des Kindes“Realität, Erwachsene inszenierten sich als unmündig. Das sei bequem und mache immun gegen Kritik. Der kindische Mensch aber werde „schnell zum manipulierten Bürger – oder zum skrupellosen Machthaber“. Nachdem man sich zunächst durch Kisslers Versuch gearbeitet hat, den als Großmeister des Kind-Kults geltenden Philosophen Jean-Jacques Rousseau vom Kopf auf die Füße zu stellen (teilweise überzeugend) sowie einigen Überlegungen zu „Peter Pan“(sehr überzeugend), treten allerlei Narren und Narrheiten auf.
Tierische Narrheit
Zunächst sind da Tiernarren. Mit herbeikonstruierten, „positiven“Eigenschaften von Tieren sendeten sie ein „Misstrauensvotum an den Menschen“. So wie der infantile Mensch sich nach der Unreife eines Kindes sehne, so sehe er in vermeintlich überlegenen Fähigkeiten von Tieren seine eigene Unreife als Mensch wie unter einer Lupe vergrößert. Das geht so weit, dass bei manchem Autor, den Kissler genüsslich zerlegt, der Einzeller den Sieg über den Homo sapiens davonträgt.
Auch der unvermeidliche Wolf muss herhalten. Als „Lehrer“
und „Weiser“tritt er in den infantilen Erzählungen der Gegenwart auf – in lächerlicher Romantisierung und unter konsequenter Ausblendung der Gnadenlosigkeit auch dieses Geschöpfes einer gnadenlosen Natur. Kissler schließt das Kapitel ironisch, der Wolf sei ja eigentlich Vegetarier, „er kommt nur so selten dazu“.
Was manchen infantilisierten Erwachsenen das Tier, ist anderen Greta Thunberg. Manchen auch beides. Geht es um Infantilität, kommt Kissler an der „echten Prophetin“(Bischof Heiner Koch) nicht vorbei. Das wütende Alles-oderNichts ihrer Ideologie mache sie zum Fokus infantiler Bedürfnisse Erwachsener. Die müssten abwägen, würden in einer Welt, die sie in Schwarz oder Weiß interpretieren, scheitern. Das sei auch eine Last. Die Welt der Erwachsenen „setze der zornigen Greta oftmals keine reife Widerrede entgegen, sondern Ergriffenheit“, schreibt Kissler und beschreibt die üblen Folgen für Demokratie und Freiheit sowie rationales Denken und Entscheiden.
Falsche Heilmittel
Das alles geschieht mit Respekt und ohne Rage, dafür um so gründlicher und damit um so nachhaltiger. Wütender Alles-oder-Nichts-Infantilismus, Gefühligkeit statt Ratio, magisches Denken – das wird deutlich – sind weder für das Klima noch für irgendetwas Heilmittel. Das gilt für Meerjungfrauen, vermeintlich simple Sprache, die Duz-Epidemie und „tolle“Gesetzesnamen wie für die Medien und die Berliner Landespolitik. Doch keine Panik: Kissler liefert auch ein so knappes wie durchschlagendes Rezept fürs Erwachsenwerden mit. Fazit: erleuchtende Lektüre für dunkle Abende.
Alexander Kissler Die infantile Gesellschaft. Wege aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit. Harper Collins, 2020, 255 Seiten, 20 Euro.