DIE FRAU IM GRÜNEN KLEID
57. Fortsetzung
Mit der Zeit begannen sich die Theaterstücke und Requisiten wieder auf dem Esstisch zu stapeln, und Lise kam regelmäßig zum Proben. Sie hatte im letzten Frühjahr den Direktoren des Odeón zwei Monologe vorgetragen und war als Naive engagiert worden. Zwischen den Theaterstücken und Kaffeeschalen auf dem Tisch setzte sie zusammen mit Camille ein Schreiben an die Comédie-Française auf. Auch dort wurde eine Naive gesucht. Zehn Wochen nach Jeans Geburt kam ein Brief, der Camille am Dienstagmorgen zum Vorsprechen einlud.
Claude begleitete sie in das ehrwürdige Theater und an riesigen, gemalten Kulissen auf Rollwagen vorbei. Auf der Seitenbühne, zwischen einem Wirrwarr aus Seilen am Boden und einer kunstvoll bemalten Kulisse des alten Rom blieben sie stehen. ,,Warte draußen", bat sie ihn. ,,Ich bin zu nervös." Dann küsste sie ihn und ging mit ein paar anderen Schauspielern,
die an diesem Tag ebenfalls vorsprechen sollten, weiter zur Bühne. In der Gasse hinter dem Theater lief Claude zwischen Mülleimern und einem alten Karren auf und ab, bis sie an die Tür trat und seinen Namen rief. Mit strahlendem Gesicht kam sie rasch auf ihn zu. ,,Oh, Claude!", sagte sie. ,,Ich habe ihnen gefallen. Ich bin engagiert, um nach Weihnachten mit den Proben zu beginnen. Jetzt musst du uns nur noch allein versorgen, bis ich meinen Teil beitragen kann!"
Er nickte. Von Auguste wusste er, wie wenig jungen Schauspielerinnen bezahlt wurde, beschloss aber zu schweigen. Nicht um alles in der Welt wollte er ihr die Freude verderben. Außerdem war es nicht nötig, dass sie den Lebensunterhalt verdiente. Das würde er tun.
Ende November, schmuddelig wie die Röcke einer Prostituierten. Überfüllte Omnibusse holperten durch die Straßen, die Fahrer draußen zusammengekauert auf ihrem Kutschbock über den Pferden, die Zügel in den behandschuhten Händen. Bei diesem feuchten, matschigen Wetter wäre er lieber zu Hause geblieben und hätte am Fenster gemalt, aber ihnen ging das Geld aus. Die wenigen Bilder, die Claude während der Schwangerschaft hatte verkaufen können, hatten sie die letzten Wochen über Wasser gehalten, und mit dem Geschenk seiner Tante hatte er ein paar alte Rechnungen bezahlt.
In seinem besten Anzug, seine Arbeiten unter dem Arm, ging er über die Seine zur Rue Saint Germain und durch den Hof eines hôtel particulier, in dem er schon früher Bilder von sich verkauft hatte. Die Wohnungen der Mittelund Oberschicht faszinierten ihn stets, so wunderschön mit ihren hohen Türen, dem Stuck, der Täfelung. So werden unsere Pariser Räume auch bald aussehen, dachte er, als ihm das Dienstmädchen Hut und Mantel abnahm.
Madame Mathieu und eine weitere Frau stickten, vor sich eine Silberkanne mit heißer Schokolade. ,,Sieh da, Monsieur Monet!", rief sie. ,,Trinken Sie eine Tasse Schokolade mit uns? Darf es auch ein Stückchen Kuchen sein? Erinnerst du dich, Suzanne, an das entzückende Bild einer Kirche in unserem Schlafzimmer, dass wir letztes Jahr von Monsieur gekauft haben?"
Die Schokolade war cremig und süß. Claude tupfte seine Oberlippe und den Schnurrbart mit seinem Taschentuch ab. ,,Ich habe ein paar neue Bilder, die ich Ihnen zeigen kann, diesmal von Pariser Parks im Sommer", sagte er charmant. ,,Sie sagten, Sie wären an weiteren interessiert?"
,,Wie freundlich von Ihnen, sich daran zu erinnern!", rief die Frau aus.
Er stellte die Leinwände auf das lange Sofa ihnen gegenüber. Das trübe Licht vom Fenster bekam den Bildern nicht gut, und er überlegte, ob er seine Gastgeberin bitten sollte, die Vorhänge weiter zu öffnen. Trotzdem erhoben sich die beiden Frauen, betrachteten die Bilder sorgfältig, und dann ihn. War sein Ton zu oberflächlich gewesen? Plötzlich hatte er das Gefühl, dass sie mehr von ihm wollte als die Bilder, wenn er dazu bereit wäre.
Vor ein paar Jahren war Claude in einem ähnlichen Haus, und in Abwesenheit des Ehemanns, mit nach oben gegangen. Die Brustwarzen der Frau hatten sich dunkel vor den weißen Laken abgehoben. An ihren Namen konnte er sich nicht erinnern.
Lächerlich, nur daran zu denken! Er lenkte seine Gedanken wieder zurück in den Raum.
,,Oh, ich möchte wenigstens eines, vielleicht sogar eine ganze Reihe", rief Madame Mathieu. ,,Leider kann ich sie jetzt nicht erwerben. Können Sie im Frühjahr wiederkommen? Wäre Ihnen das nicht zu viel Aufwand?"
An diesem Morgen klopfte er noch an weitere Türen, Türen von Männern, die in der Vergangenheit Arbeiten von ihm gekauft hatten, aber ihre Dienstboten erklärten, Monsieur sei nicht zu Hause und Claude solle zu einer anderen Zeit wiederkommen. Er setzte sich in ein Café, trank etwas, schaute durch das Fenster auf die Passanten und notierte seine Möglichkeiten auf dem Rand einer abgerissenen Zeitungsseite, strich Namen von Kunstsammlern durch und schrieb ,,Frühjahr" neben einen. Mit einigem Widerwillen trat er wieder auf die feuchte Straße hinaus.
Er bog zum Geschäft des Rahmenhändlers Isaac Clément auf der Rue Bonaparte ab.
Fortsetzung folgt