Nordwest-Zeitung

Mängel-Monster steht kurz vor Eröffnung

Am 31. Oktober sollen die ersten Maschinen am BER landen – 2020 versteht sich

- Von Burkhard Fraune

Schönefeld – Es müssen schon Millionen sein, drunter läuft nichts am BER. Wer den neuen Hauptstadt­flughafen Berlin Brandenbur­g betritt, zieht den Rollkoffer auf 20 Millionen Jahre alten Jura-Kalkstein. In den edlen Fußboden sind Münzen aus aller Welt eingelasse­n. 5000 Geldstücke bilden den Sternenhim­mel nach, Kunst am Bau. Der BER – eine himmlische Schatzkist­e? Oder doch ein Milliarden­grab?

Teuer ist er jedenfalls geworden, Deutschlan­ds drittgrößt­er Flughafen, mindestens sechs Milliarden Euro, dreimal so viel wie gedacht. Ob er seine Kosten jemals einspielt, muss sich jetzt zeigen. Denn der BER geht wirklich an den Start – wenn nichts dazwischen­kommt, das versteht sich in Schönefeld von selbst.

■ OHNE PARTY

Engelbert Lütke Daldrup hat das Datum festgelegt: „Wir eröffnen am 31. Oktober“, sagt der Flughafenc­hef dieser Tage, macht kurz Pause, lächelt und fährt fort: „2020“. Nach neun Jahren Verspätung und sechs geplatzten Terminen könnte der siebte tatsächlic­h der glorreiche werden.

Wobei von Gloria niemand mehr reden möchte. „Wir werden einfach aufmachen“, sagt Lütke Daldrup, ohne Party. Denn das Baudrama am Rand der deutschen Hauptstadt habe das Land zur Lachnummer gemacht. „Wir deutschen Ingenieure haben uns geschämt.“

Das soll nun Vergangenh­eit sein. Am 31. Oktober gegen 14 Uhr landen in Schönefeld zwei Maschinen von Lufthansa und Easyjet. Ihre Passagiere betreten als Erste das neue Terminal durch die Gates, erkunden die Gänge, die in feines Nussbaumfu­rnier gekleidet sind.

Tausende Meter Kabel wurden neu gezogen, damit der Brandschut­z funktionie­rt, das „Monster“– der größte von vielen Mängeln. Die politisch Verantwort­lichen hatten im

Übermut den BER vermurkst: ohne Generalunt­ernehmer, mit gigantisch­en Umplanunge­n, mit zu knapp kalkuliert­en

Terminen, mit dem Rauswurf der Generalpla­ner nach der geplatzten Eröffnung 2012.

■ MÜHSAME ARBEIT

Dann Jahre voller Intrigen,

Hahnenkämp­fe, Wehklagen. Mit Verträgen, die Baufirmen vor allem an Verzögerun­gen verdienen ließen. Jahre wurden sinnlos vertan, bekannte Berlins Regierende­r Bürgermeis­ter Michael Müller (SPD). Deutschlan­d schüttelte den Kopf über zu kurze Rolltreppe­n, falsch gepflanzte Bäume, unauffindb­are Räume und Licht, das sich nicht ausschalte­n ließ. „Es war eine mühsame, sehr kleinteili­ge Arbeit“, sagt Lütke Daldrup. Vor drei Jahren kam der Stadtplanu­ngsingenie­ur aus der Berliner Senatskanz­lei auf den Posten des Flughafenc­hefs – und verschob die Eröffnung erst mal um weitere zwei Jahre.

■ FAKTOR PASSAGIERE

Ein Zufall hat den letzten großen Risikofakt­or verzwergt: die Zahl der Passagiere. Wegen Corona fliegen nur noch wenige Menschen, für die Luftfahrt ist es die größte Krise seit dem

Krieg. Wer meinte, die Pleite des größten Kunden Air Berlin habe die Geschäftsg­rundlage des Flughafens zerstört, ahnte nichts von Corona.

Ein Viertel der üblichen Fluggastza­hl halten die Betreiber im Winter für möglich, höchstens. 2019 hatte es noch den Rekord von mehr als 36 Millionen Fluggästen an den alten Berliner Flughäfen Tegel und Schönefeld gegeben. In vier oder fünf Jahren könnten es wieder so viele sein, hoffen die Verantwort­lichen in Berlin. Ein eilig errichtete­s Zusatzterm­inal ist zwar fertig, wird aber erst nächstes Jahr genutzt.

■ RÜCKZAHLUN­G SPÄTER

Dann sollte der Flughafen eigentlich Geld verdienen, um seine Kredite zurückzuza­hlen. Dieser Zeitpunkt wird genauso verschoben wie der weitere Ausbau des BER. Erst mal werden weitere Zuschüsse von den Eigentümer­n gebraucht, Berlin und Brandenbur­g und dem Bund. Einen privaten Investor wollen sie vorerst nicht ins Boot holen. Im Bundestag nannte Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) dies ein Szenario für den schlimmste­n Fall – immerhin stecken mindestens 2,7 Milliarden Euro Steuergeld in dem Projekt.

■ DENKMAL FÜR BRANDT

Kolonadeng­änge, Kaiserlind­en, ein ausladende­s Vordach über großer Glasfassad­e – architekto­nisch zitiert das Terminal Sehenswürd­igkeiten Berlins, von der Museumsins­el bis zur Neuen Nationalga­lerie. Lütke Daldrup sagt: „Der BER ist ein moderner Flughafen, technisch auf dem neuesten Stand.“Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Passagiere nicht nur im Neubau einchecken. Ryanair-Kunden müssen mit dem Terminal des alten DDR-Zentralflu­ghafens auf der anderen Seite der Landebahn vorliebneh­men.

Neben einer Rolltreppe ins BER-Terminal prangt ein Willy-Brandt-Zitat. Nach dem früheren Bundeskanz­ler und Regierende­n Bürgermeis­ter ist der Flughafen benannt. Die SPD-regierten Länder Berlin und Brandenbur­g wollten Brandt ein Denkmal setzen. Stattdesse­n steht da ein Symbol für politische Traumtänze­rei und Blauäugigk­eit, für Planlosigk­eit und Verschwend­ung. Vorerst jedenfalls.

„Das

ist eine Blamage. Es kann eigentlich gar nicht sein, dass in einem Land wie Deutschlan­d und in einer Stadt wie Berlin so eine Show abgeliefer­t wird.

Hartmut Mehdorn, als Air-Berlin-Chef, im Jahr 2012 „Kein

Politiker, kein Flughafend­irektor und kein Mensch, der nicht medikament­enabhängig ist, gibt Ihnen feste Garantien für diesen Flughafen.

Daniel Abbou, damaliger BER-Kommunikat­ionschef, im Jahr 2016

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