Nordwest-Zeitung

Schwere Zeit nach dem Krieg hat fürs Leben geprägt

Kinder lernten schnell, sich durchzuset­zen – „Mit Ludwig Erhardt das Land wieder aufgebaut“

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Oldenburg/HT – Heinz Tenfelde hat das Kriegsende in Lingen erlebt. Das Gebiet gehörte zu den Haupteinfl­ugschneise­n der alliierten Bomberverb­ände. Tenfelde und seine Freude sammelten die Munition und Waffen ein und schossen wild herum oder warfen Granaten.

Er erzählt: „1945 zog meine Familie von Lingen nach Oldenburg. In der Schule wurden wir unterricht­et von Lehrern, die der Krieg übrig gelassen hatte oder von Pädagogen die aus dem Ruhestand geholt wurden. Einen jungen Lehrer gab es, vermutlich war er ein Quereinste­iger. Er sollte uns die deutsche Sprache näher

bringen. Mit Nachdruck erklärte er: ,Das heißt nicht Oldenburch, sondern Oldenburg’. Wenig später wies er einen Schüler an: ,Mach die

Tiere zu’. Es hatte ihn aus Schlesien nach Oldenburg verschlage­n.

Unseren alten Zeichenleh­rer hatten wir aber lieb gewonnen. Als er den Schrank öffnete, um Material zu entnehmen, sprang ihm ein mittelgroß­er Hund aus dem Schrank vor die Brust. Wir bösen Buben hatten den Hund dort eingesperr­t. Im ersten Moment glaubten wir, der alte Mann stirbt, so hatte er sich erschrocke­n. Schneeweiß im Gesicht saß er eine ganze Weile mit wackelnden Knien auf einem Stuhl. Uns war das Lachen im Hals stecken geblieben. Wir waren schon rechte Lümmel, Kriegskind­er eben. Der eingeHund war auch zu bedauern.

Wir bekamen Schulspeis­e. Jeder hatte ein Kochgeschi­rr, wie es die Soldaten benutzt hatten, und natürlich Schanzzeug. Soldaten nannten ihr Essbesteck so. Auf unserem Schulweg nach Hause warteten Hunde auf uns, weil wir sie mit den Resten unserer Schulspeis­e verwöhnten. So war es kein Kunststück, einen mit klappernde­m Geschirr bis ins Klassenzim­mer zu locken. Einige der älteren Schüler waren auf dem schwarzen Markt tätig, handelten mit Schokolade und Zigaretten. (...)

Das nächste große Ereignis war 1948 die Währungsre­form.

Dieses Ereignis war für mich zeitlebens prägend. 1948 kam ich langer dünner Junge in die Kinderland­verschicku­ng nach Wangerooge. (...)

Was in dieser Nachbetrac­htung zum Ausdruck kommen sollte ist, dass Kinder damals ganz anders aufgewachs­en sind. Die Väter waren gefallen oder noch in der Kriegsgefa­ngenschaft. Wir mussten uns schon sehr früh durchsetze­n. Es fehlte sicher auch mal eine straffe Hand.

Eine Stunde in einer langen Schlange angestande­n zu haben, um eine Steckrübe zu kaufen, war schon sehr verdrießli­ch. Sollte es ein Erwachsene­r wagen, sich vorzudräns­perrte gen, hätten wir sofort ein heftiges Theater angefangen. Beschaffen, besorgen, auch am Rande der Legalität war für uns normal. Mit der ganzen Schulklass­e hatten wir im Krieg tagelang Kartoffel aufgelesen.

Die vollen Drahtkörbe waren für uns Kinder viel zu schwer. Dafür bekamen wir Verpflegun­g und am Abend ein paar Pfund Kartoffeln mit nach Hause. Solche Erlebnisse haben uns geprägt. Mit der Prägung sind wir auch in das Berufslebe­n eingestieg­en.

Mit Ludwig Erhardt haben wir mitgeholfe­n, unser Land wieder aufzubauen. Wir dürfen darauf stolz sein.“

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Privat Zeitzeuge: Heinz Tenfelde wurde 1934 geboren.BILD:

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