„Was macht die Vergangenheit mit uns?“
Christian Berkel über sein neues Buch „Ada“, ein autobiografisch gefärbter Roman
Der Schauspieler gehört zu einer der ersten Generationen der Nachkriegszeit. Im Gespräch erzählt Berkel über seine jüdischen Wurzeln – und ob er heute noch Nazirollen spielen würde.
Herr Berkel, Ihr Romanerstling „Der Apfelbaum“hat 2018 für Furore gesorgt. Wie haben Sie das Echo auf das Buch empfunden?
Berkel: Es hat mich sehr gefreut, in dieser Form hatte ich das natürlich nicht erwartet. Ich hatte aber geahnt, dass das Thema auf Interesse stoßen könnte, denn immer wenn ich zuvor Teile der Geschichte erzählte, habe ich gemerkt, dass viele Leute dasselbe Problem hatten wie ich. Die Generation, die ungefähr zwischen 1950 und 1970 geboren ist, hat es hart getroffen und geprägt, mit dem Schweigen der Elternund Großelterngeneration über die Nazizeit aufzuwachsen. So kam ich auf den Gedanken, dass es nicht nur meine eigene Geschichte ist, sondern etwas, das uns in dieser Generation stark umtreibt.
Der erste Roman endete 1954, die Fortsetzung knüpft daran an und schildert prägende Momente der Bundesrepublik aus dem Blickwinkel der jungen Jüdin Ada…
Berkel: Ada kommt mit ihrer Mutter aus Buenos Aires in ein zerstörtes, schweigendes Land. Sie wünscht sich nichts sehnlicher als eine Familie, einen Vater, den sie in ihren ersten Lebensjahren so schmerzlich vermisst hat. Kaum sind sie angekommen, konfrontiert ihre Mutter sie mit zwei Männern und überlässt ihr die Wahl, wen sie lieber als Vater hätte. Es ist der Beginn einer Entwicklungsgeschichte, Adas Reise zu sich selbst inmitten all der Sprachlosigkeit, dem Verdrängungswillen und der Lieblosigkeit der Wirtschaftswunderzeit. Von Berlin über Paris bis nach Woodstock sucht sie nach den fehlenden Teilen des Puzzles, nach einer Identität zwischen vielen Stühlen.
Einer der Schlüsselmomente ist das legendäre erste Berliner Konzert der Rolling Stones 1965, nach dem die Fans die Waldbühne demoliert haben. Berkel: Damals hat man sich unglaublich aufgeregt, dass ein paar Jugendliche nach dem Konzert ein paar U-BahnZüge umgeworfen haben und ein gewisser Vandalismus stattgefunden hat – aber diese Aufregung kam von einer Generation, die gerade ganz Europa in Schutt und Asche gelegt hatte. Heranwachsende überall auf der Welt sagen, meine Eltern sind die letzten Verbrecher – aber damals war das kein leerer, pubertärer Satz, sondern das waren wirklich Verbrecher.
In „Ada“spielt auch die erwachende Sinnlichkeit der jungen Frau eine zentrale Rolle. War es schwierig für Sie, sich in die weibliche Perspektive zu versetzen?
Berkel: Als ich anfing, das Buch zu schreiben, habe ich viel mit Frauen über diese Themen geredet und Fachliteratur gelesen. Aber ehrlich gesagt habe ich mich schon gefragt: Kann ich das aus der IchPerspektive schreiben? Dann habe ich die ersten Kapitel meiner Lektorin und der Verlegerin gegeben, ich dachte: Das sind zwei Frauen, die werden schon aufschreien, wenn sie Einwände haben, aber es hat ihnen sehr gut gefallen, und das hat mich bestärkt.
Die beiden Bücher rücken Ihre jüdischen Wurzeln in den Mittelpunkt. Haben Sie seither antisemitische Erfahrungen gemacht?
Berkel: Nicht in der direkten Form, auch wenn ich beobachte, wie stark sich manches in unserem Land verändert. Mein Name ist allerdings auf einer Internetseite aufgetaucht, die sogenannte „Verräter an der weißen Rasse“aufgeführt hat. Und neben Menschen mit jüdischen Wurzeln war ein Davidstern abgebildet. Als mir das zugespielt wurde, bin ich schon erschrocken.
Sie haben früher öfter mal in Filmen Nazirollen gespielt. Würden Sie das heute nicht mehr tun?
Berkel: Es gab einen Punkt, wo ich dachte: Das habe ich jetzt genügend gespielt. Ich will aber nicht sagen, dass ich das nie wieder mache, ich finde es nach wie vor sehr wichtig, dass wir Geschichten aus dieser Zeit erzählen, und vor allem ist es in meinen Augen wichtig, diese Themen aus der heutigen Perspektive zu erzählen: Was macht diese Vergangenheit mit uns, wie weit betrifft es uns heute? Heute lebt eine Generation, die damals noch nicht geboren war, die sich auch überlegen muss, wie sie sich verhalten soll.