„Warum gibt es keine Cloud für Europa?“
Hamburger Professor gibt Prognose für Wirtschaft nach Corona-Krise
Oldenburg – Wie wird die Welt und vor allem die Wirtschaft nach der Corona-Krise aussehen? Diese Frage stellte die Oldenburger Wirtschaftsvereinigung „Der kleine Kreis“Prof. Dr. Henning Vöpel, Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts, (HWWI) und lud ihn zu einem Vortrag ein. Der Hamburger Professor stellte am Mittwochabend in der Alten Fleiwa vor rund 40 Mitgliedern des kleinen Kreises seine Thesen und die Untersuchungen des HWWI vor.
Der Vorsitzende des kleinen Kreises, Martin Steinbrecher, betonte zu Beginn: „Es kann kein Zurück zur Situation vor der Krise geben. Die Schulden von heute sind die Steuern von morgen.“Vöpel stimmte zu: „Unsere Welt war vorher auch in Unordnung und nicht optimal.“
Vöpel sieht Gefahr
Mit Blick auf das Vorgehen in der Pandemie sagt Vöpel: „Den Umständen entsprechend haben wir damals gar nicht so schlecht reagiert.“Er sieht jedoch bereits eine Ge
Vortrag in der Alten Fleiwa: (von links) Martin Steinbrecher (Vorsitzender kleiner Kreis), Henning Vöpel (Direktor HWWI) und Jürgen Lehmann (Geschäftsführer kl. Kreis.)
fahr: „Die Maßnahmen beruhen auf der Annahme, dass es keine zweite Welle gibt. Wenn die zweite Welle jedoch kommt, sind einige Maßnahmen vielleicht nicht mehr so richtig.“Was er meint: Mit Steuererleichterungen lässt sich dann nicht mehr Nachfrage erzeugen.
Der 48-Jährige hat weitere Befürchtungen bezüglich einer zweiten Welle: „Sie könnte mehr wirtschaftliche und soziale Ungleichheit hinterlassen, die Gesellschaft könnte rauer sein.“Das große Problem sei, dass mittelfristige Ziele, also das nächste halbe Jahr, nicht mehr planbar sind.
Vöpel stellt fest, dass der Einfluss der Staatswirtschaft in der Krise deutlich zugenommen
hat. „Dies ist nicht schlimm und auch verständlich, aber wir wissen aus der Vergangenheit, dass der Exit des Staates ein Riesenproblem ist.“Die Politik gefalle sich darin, Einfluss zu nehmen und ziehe sich im Anschluss nicht wieder zurück oder kann sich aufgrund von Verpflichtungen nur schwer zurückziehen.
Erneuernde Maßnahmen
Notwendig sind aus Vöpels Sicht jetzt strukturerneuernde statt – wie bisher – strukturerhaltende Maßnahmen. Diese sind vor allem im Bereich der Digitalisierung notwendig: „China hat in den letzten Monaten in seine digitalen Plattformen investiert, diese
sind nochmal größer geworden. Warum sagt die EU nicht, wir erstellen eine Cloud für Europa?“
Denn durch die vielen Videokonferenzen und die Nutzung digitaler Plattformen seien bereits riesige Datenmengen produziert worden, die nun nicht in Europa liegen.
Vöpel erstellte vier Szenarien und tippt, das Letzteres davon eintritt: Eine „50-Prozent-Ökonomie“. „Wir werden einen zum Teil geschwächten Mittelstand erleben, der womögliche zukünftige Investitionserfordernisse kaum wird finanzieren können.
Für die, die beim Vortrag nicht dabei sein konnten, ist er in den kommenden Tagen online abrufbar.
Lars Unger