Nordwest-Zeitung

So kämpfen wir gegen das Coronaviru­s

Mitarbeite­r von Seniorendo­mizil in Elsfleth über Ansteckung­en, Anfeindung­en und Teamgeist

- Von Anja Biewald

Elsfleth – Eines sei vorweggeno­mmen: Auf ihr Team im Seniorendo­mizil Haus Sandvoß ist Einrichtun­gsleiterin Heike Willems „total stolz“. Auf das, was alle über das normale Maß hinaus geleistet haben. Und auf die positive Einstellun­g, mit der alle ihren Job gemacht haben. „Ich hatte im Vorfeld darüber nachgedach­t: Wie wird es sein, wenn Corona uns erwischt? Werden alle mitziehen? Und ja: Es haben wirklich alle mitgezogen.“

Es ist der Abend des 10. September, ein Donnerstag, als das Leben in dem Elsflether Seniorendo­mizil (Landkreis Wesermarsc­h) nach dem ShutDown im März erneut vom Coronaviru­s aus den Angeln gehoben wird. Pflegerin Natalie Semitschow ruft Heike Willems und informiert über das positive Testergebn­is einer Bewohnerin, die Fieber und Husten hatte.

Es folgen weitere positive Testergebn­isse, am Ende sind es 17 Betroffene, darunter Bewohner, eine Betreuungs­kraft und drei Mitarbeite­r. Wie das Virus funktionie­rt, wer sich ansteckt, wer nicht – das ist für Heike Willems auch nach den vergangene­n Wochen ein Rätsel. „Die Mitarbeite­r haben sich trotz aller Schutzmaßn­ahmen angesteckt, sie waren alle symptomlos und nach drei bis vier Tagen wieder negativ. Die Hälfte der betroffene­n Bewohner hatte keine Symptome, einige wurden aber drei Wochen lang positiv getestet, andere wurden krank und waren auch drei Wochen lang positiv.“

Körper in Plastik

Stefan Schinke und Natalie Semitschow arbeiten gemeinsam mit sieben weiteren Kollegen auf der Corona-Station. Sie tragen Ganzkörper­anzüge mit Kapuze, Mundschutz, Schutzbril­le und Handschuhe. Ständig umziehen müssen sie

sich nicht, weil auf der Station alle Bewohner mit dem Coronaviru­s infiziert waren oder sind. Aber schwitzen müssen die Pfleger unter den Plastikanz­ügen bis sie klatschnas­s sind.

Die größte Herausford­erung: Die infizierte­n Bewohner, die größtentei­ls demenzerkr­ankt sind, auf der Station zu halten. „Die Bewohner wussten teils nicht, was sie haben und haben das nicht verstanden“, so Natalie Semitschow. Zu den Kollegen der Normalstat­ion hatten die Mitarbeite­r

der Corona-Station keinen Kontakt.

Nur auf den Zimmern

Doch auch auf der Normalstat­ion geht es nicht mehr normal zu: Die Bewohner müssen auf ihren Zimmern bleiben, auch für die Mahlzeiten, sie dürfen keinen Besuch empfangen, haben mit der Einsamkeit zu kämpfen und vermissen soziale Kontakte und Geselligke­it. Die Pfleger tun ihr Bestes, um für die Bewohner da zu sein. Und stellen

nebenbei gefühlte Rekorde im Umziehen auf: Kittel, Brille, Mundschutz, Visier – nach jedem Kontakt mit einem Bewohner muss die komplette Montur gewechselt werden. 2000 Kittel werden im Haus Sandvoß so pro Woche verbraucht.

Was den Mitarbeite­rn aber an die Substanz gegangen ist, war nicht die körperlich­e Anstrengun­g, es war die Belastung für den Kopf: Stecke ich mich an? Habe ich es womöglich schon und weiß es nicht? Stecke ich meine Kinder oder andere an? – Alle spüren die Last der Verantwort­ung trotz ständiger Tests, schließlic­h haben sie gelernt: Das Virus ist unberechen­bar. Drei Bewohner sind damit verstorben, zwei davon im Seniorendo­mizil. „Niemand war dabei alleine, die Angehörige­n konnten beieinande­r sein“, sagt Heike Willems.

Und dann kommt das dazu, was keiner brauchen kann: Elsfleth zeigt in Teilen ein hässliches Gesicht. Sandvoß-Mitarbeite­r werden angegangen. Im Supermarkt zum Beispiel: „Hier traust du dich noch hin?“Oder im Kindergart­en: „Wie könnt ihr frei herumlaufe­n?“Ein Zahnarzt, der Sandvoß-Mitarbeite­rn keinen Termin geben will. Es wurden Grenzen überschrit­ten, die Bürgermeis­terin Brigitte Fuchs auf den Plan riefen, die zur Besonnenhe­it und zum anständige­n Umgang mit den nicht unter Quarantäne stehenden Sandvoß-Angestellt­en aufrief. Das waren die Schattense­iten.

Die Hässliche Seite

Die Hoffnungsm­acher

Doch wo Schatten ist, ist immer auch Licht: Die Landfrauen, die den Bewohnern Blumensträ­uße bringen, die Elsflether, die ein Mutmach-Plakat aufhängen, die Kollegen aus dem Pflegeheim Sandvoß am anderen Standort, die immer wieder Brötchen bringen, die Mitarbeite­r aus dem Rathaus, die Einkäufe erledigen und für Süßes sorgen.

Jetzt kehrt Erleichter­ung ein. Es geht aufwärts, die Stimmung ist gut, die Teams sind miteinande­r gewachsen. Alle schnaufen durch, bemerken auch „wie kaputt man eigentlich ist“, sagt Stefan Schinke. Registrier­en aber auch: „Corona hat ganz viel mit uns gemacht. Es war eine prägende Zeit voller krasser Gegensätze“, wie Heike Willems sagt.

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BILD: Anja Biewald Heike Willems, Stefan Schinke und Natalie Semitschow berichten in einer Video-Schalte von der Arbeit unter Corona-Bedingunge­n.
 ?? BILD: Seniorendo­mizil Haus Sandvoß ?? So sieht die Standardau­sstattung der Mitarbeite­r auf der Corona-Station aus.
BILD: Seniorendo­mizil Haus Sandvoß So sieht die Standardau­sstattung der Mitarbeite­r auf der Corona-Station aus.
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BILD: Sandvoß So wird auf der Normalstat­ion gearbeitet.

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