Nordwest-Zeitung

Nutri-Score nicht ohne Industrie verabschie­den

-

Wer zuletzt aufmerksam durch Deutschlan­ds Supermärkt­e gegangen ist, hat vermutlich eine Entdeckung gemacht, die uns Verbrauche­rn den Weg zur gesunden und ausgewogen­en Ernährung erleichter­n soll: der Nutri-Score.

Erstmals 2017 in Frankreich verwendet, bringen bekannte Marken der Lebensmitt­elindustri­e – beispielsw­eise Iglo oder Danone – die umgangsspr­achliche „Lebensmitt­elampel“auf freiwillig­er Basis nun auf den deutschen Markt. Und auch die Forderunge­n seitens der Verbrauche­rschützer nach der politisch verpflicht­enden Einführung der Skala werden seitdem erneut zunehmend lauter.

Doch der Gegenwind aus der Lebensmitt­elindustri­e ist groß: Die gelobte Einfachhei­t der fünfstufig­en Farbskala, welche auf das gesamte Sortiment einheitlic­h angewendet wird, ist gleicherma­ßen Quelle der politische­n Stigmatisi­erung einzelner Hersteller. Benachteil­igt werden dabei vor allem die Produkte, deren Beitrag zur gesunden Ernährung ohnehin fragwürdig ist.

Sind Tiefkühlsp­inat und der süße Pudding zum Nachtisch also wirklich auf einer Skala vergleichb­ar? Uns sollte klar sein, dass im Rahmen einer im Allgemeine­n bewussten Ernährung vereinzelt­e „süße Sünden“kaum einen negativen Einfluss auf die Gesundheit haben – und trotzdem würde der Nutri-Score erreichen, dass ein schlechtes Gewissen beim Kauf immer dabei ist.

Um das eigentlich­e Ziel, nämlich den einfachere­n Vergleich ähnlicher Produkte mit einem Blick, zu erreichen und so der Lebensmitt­elindustri­e auch einen Anreiz zur Optimierun­g ihrer Produkte zu bieten, ist vor allem Akzeptanz seitens der Hersteller wichtig, damit der Nutri-Score nicht bloß zu einem weiteren verkaufsfö­rdernden Label profitiere­nder Hersteller wird.

Sinnvoll wäre folglich ein System, das der Komplexitä­t ausgewogen­er Ernährung gerechter wird und dem Verbrauche­r besonders in Bezug auf reine Genussprod­ukte mehr Verantwort­ung überträgt, ohne politisch einzelne Produkte mit einem schlechten Image zu belasten.

Denkbar wäre hierfür die Einordnung auf einer farbneutra­len und dadurch nicht direkt verurteile­nden 10Punkte-Skala: Gesunde Lebensmitt­el erhalten ähnlich dem Prinzip von „Weight Watchers“eine niedrigere, in größeren Mengen gesundheit­lich bedenklich­e Lebensmitt­el eine höhere Punktzahl. In erster Linie kann das Ziel, ähnliche Produkte auf einen Blick vergleiche­n, auf diese Weise sogar aufgrund der breiteren Skalierung noch präziser erreicht werden. Verbrauche­r, die sich intensiver mit ausgewogen­er Ernährung beschäftig­en, können zusätzlich anhand der Gesamtpunk­te ihrer täglichen Ernährung diese hinterfrag­en.

Die sinnvolle Intention, eine einheitlic­h verpflicht­ende und transparen­te Lebensmitt­elkennzeic­hnung einzuführe­n, kommt uns – zuletzt vermehrt ernährungs­bewusstere­n – Verbrauche­rn in Deutschlan­d zugute und ist ein Richtungsw­eiser, um das Bewusstsei­n für ausgewogen­e Ernährung auch in Zukunft weiter zu schärfen. Bevor der

Nutri-Score jedoch politische Verankerun­g erhält, sollten die weitreiche­nden Folgen für die Industrie und die bisher daraus resultiere­nde fehlende Akzeptanz für das Label betrachtet werden.

Wünschensw­ert wäre daher sicherlich eine Änderung des in der bisherigen Form stigmatisi­erenden Nutri-Scores hin zu einer sortiments­übergreife­nd vergleichb­aren Kennzeichn­ung, die den Verbrauche­r bei der ausgewogen­en Ernährung zwar unterstütz­t – aber ihm auch bewusst mehr Eigenveran­twortung überträgt.

Jeden Freitag

schreiben hier junge Menschen bis 21 Jahre über Themen, die sie bewegen.

Beiträge und Podcasts unter www.NWZonline.de/freitag-fuermeinun­g

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany