DIE FRAU IM GRÜNEN KLEID
63. Fortsetzung
Claude, ich bin in ein Atelier an der schmalen Rue Visconti umgezogen. Für das andere haben sie die Miete erhöht. An den Wänden hängen dieselben Bilder von Dir, und Deine große Staffelei bekommt gutes Licht. Auguste schläft manchmal hier. Ja, wir sind alle da. Paul ist in der Stadt, und Manet malt weiterhin sein rothaariges Modell. Sisleys Vater ist gestorben, daher ist er jetzt so arm wie wir alle. Ich hoffe, Dir und Camille und meinem Patensohn geht es gut?
Das Datum für meine Hochzeit ist auf den Herbst in zwei Jahren festgesetzt worden. Um ehrlich mit Dir zu sein, das hat mich davon abgehalten, Dir zu schreiben und es einzugestehen. Ich bin nicht bereit für die Ehe, für ein Leben wie mein Vater es führt, und doch geht das Leben weiter, auch wenn wir nicht dafür bereit sind. Es zieht uns mit. Manchmal wünschte ich, wir wären wieder vierundzwanzig, alle zusammen in einem Atelier.
Nun hoffe ich, dass es Dir dort bestens geht und Du mehrere Bilder verkaufen konntest, wie Du gehofft hast. Ich las in der Zeitung, dass Du eine Medaille gewonnen hast. Etwas anderes hätte ich auch nicht von Dir erwartet.
F. Bazille
Ich kann ihm nicht schreiben und ihn um seine Hilfe bitten, dachte Claude, als er den Brief in die Tasche steckte. Ich kann es einfach nicht.
Eine Leinwand hatte er noch und zögerte, sie zu benutzen. Daher stellte er das Malen ein. Er schlief schlecht, war jede Nacht auf und schaute hinaus auf das gleichmütige Meer, als könnte es ihm etwas erzählen. Claude schämte sich so sehr, dass er nicht mit Camille darüber sprechen konnte, obwohl sie es ahnte. Er war erstaunt, wie eng sie miteinander verbunden waren. Wenn seine Stimmung sank, folgte ihm die ihre nach. Wenn sie überhaupt etwas kochte, ließ sie alles anbrennen. Sie trugen Sand herein, und sie fegte ihn nicht weg, das Gewenn schirr wurde nicht gespült. Die Hilfe der Frau des Fischers konnten sie sich nicht mehr leisen, und sie vermissten ihr fröhliches Wesen. Ihm graute davor, dass sein alter Lehrer zurückkehren und sein Häuschen in so einem Zustand vorfinden würde.
Draußen vor dem Fenster lag das Meer friedlich da, und der Feldweg blieb bis auf den täglichen Milchkarren größtenteils leer. Mit jedem Tag sprachen sie weniger, bis sie ganz aufhörten, miteinander zu sprechen. Claude spürte jedoch, wie sich ihre Gefühle so anstauten, dass sie Schwierigkeiten hatten, an ihnen vorbei das Zimmer zu durchqueren.
An einem grauen, windigen Januarmorgen, als er sich hinter einem Buch verkrochen hatte, sprach sie als Erste. ,,Oh, Claude, was passiert hier mit uns? Wir besuchen niemanden, wir gehen nirgendwohin, und zwischen uns herrscht Schweigen." Sie sprang auf und streckte die Hand aus. ,,Geh wenigstens mit mir spazieren! Wir können ein wenig reden. Du schläfst nicht. Es steht schlimm, nicht wahr?"
,,Alles in Ordnung", murmelte er.
,,Ist es nicht, und ich weiß es."
,,Wir haben ein paar Schulden. Aber wenn ich die Seestücke verkaufe, wird es mir wieder bessergehen. Ich kann dir gar nicht sagen, wie enttäuscht ich sein werde, wenn niemand sie kauft." Camille setzte sich neben ihn auf eine Fußbank, nahm ihm das Buch aus der Hand und schlang ihre Arme um seine Knie. Sie schaute weg, dann ins Feuer. ,,Unsere Probleme beginnen,
wir einander nichts erzählen", setzte sie ernst an. Sie blin- zelte ein wenig, zögerte und schüttelte dann den Kopf. ,,Ich werde dir etwas erzählen, das du seit einiger Zeit wissen willst, glaube ich", sagte sie und stotterte leicht. Er sah, dass sie sich wieder die Nägel bis zum Fleisch abgekaut hatte. ,,Das, was passiert ist, als ich sechzehn war. Ich bin mit einem jungen Schauspieler namens David durchgebrannt. Das war meine erste Erfahrung. Ich fand heraus, dass er verheiratet war. Ich schrieb ihm noch eine Weile, nachdem er nach Kanada ausgewandert war. An ihn waren die Briefe gerichtet, die ich schrieb, als wir uns zum ersten Mal begegneten."
Müde schaute er aus dem Fenster auf die Wellen und die Möwen. ,,Hast du ihm auch danach noch geschrieben, als wir uns besser kannten? Als du verlobt warst? Und auch später noch? Ich bin nicht in der Stimmung, mir das heute anzuhören, Minou, wenn ich kaum mit allem anderen fertig werde."
Sie stand plötzlich auf und funkelte ihn empört an. ,,Warum reagierst du so, nachdem ich dir mein Geheimnis verraten habe? Es hat Mut gekostet, das zu erzählen. Wir haben unsere Freunde und meine Familie verlassen, um hierherzukommen. Lise schreibt mir, wie wunderbar es beim Theater ist, und ich versäume all ihre Auftritte. Ich habe mein eigenes Theaterengagement aufgegeben, um mit dir zu kommen."
,,Du hast es wegen deines Vaters aufgegeben."
,,Das stimmt nicht. Ich habe es für dich aufgegeben."
,,Ach, was du nicht sagst! Hast du das getan, bevor du wusstest, dass ich weggehen würde?"
Sie durchquerte das Zimmer zu dem Regal, in dem ihre Vorräte untergebracht waren – Bohnen, etwas Kaffee, ein paar Würste –, und stellte sich davor, als wollte sie sie beschützen.
Fortsetzung folgt