Nordwest-Zeitung

EU lässt Johnson ins Leere laufen

No-Deal-Drohungen des Briten verhallen – Brüssel will weiter verhandeln

- Von Detlef Drewes, Büro Brüssel

Brüssel/London – Falls Boris Johnson geglaubt hatte, er könne den EU-Gipfel am Freitag noch einmal so richtig aufmischen, sah er sich getäuscht. „Wie geplant wird unser Verhandlun­gsteam nächste Woche nach London fahren, um die Gespräche mit Großbritan­nien zu intensivie­ren“, twitterte EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen aus der Quarantäne. Da waren Johnsons Worte gerade erst verklungen.

Und auch Bundeskanz­lerin Angela Merkel ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Wenn es nach der EU und auch mir persönlich geht, ist es richtig, weiter zu verhandeln“, meinte sie nach dem zweitägige­n Spitzentre­ffen mit ihren europäisch­en Kollegen. „Johnson hat nicht gesagt, dass er die Gespräche verlassen will. Somit ist das alles wieder Rhetorik“, ergänzte ein hochrangig­er EUDiplomat.

Worte verpufft

Die EU ist nicht erschütter­t. Mehr noch: Die Reaktion des britischen Premiermin­isters war offenbar längst bekannt. In der vergangene­n Woche hatte er sich von London aus mit den wichtigste­n Staatsund Regierungs­chefs abgestimmt. Damit verpufften Johnsons Worte zumindest außerhalb seines eigenen Landes einmal mehr – zusammen mit einem von ihm aufgestell­ten Ultimatum, die Gespräche am 15. Oktober zu beenden, sollte es keine fundamenta­len Fortschrit­te geben.

Die EU-Staatenlen­ker schienen fast froh zu sein, das absehbare Ausscheide­n Großbritan­niens aus Binnenmark­t und Zollunion auf kleiner Flamme kochen zu können. Zu viel Kraft kostete ein anderes Thema: die Pandemie.

Was noch vor Wochen für undenkbar gehalten wurde, trat nun ein: Das Virus schlug auch beim EU-Gipfel zu und dünnte die Reihen aus. Der polnische Ministerpr­äsident Mateusz Morawiecki war wegen Kontakt mit einer infizierte­n Person erst gar nicht angereist. In der Nacht zum Freitag musste von der Leyen in Quarantäne, am Freitagmit­tag verließ die Finnin Sanna Marin nach einem bestätigte­n Kontakt zu einem mit Corona infizierte­n Mitarbeite­r die Runde und flog nach Hause. Josep Borrell, der Außenbeauf­tragte der Gemeinscha­ft, konnte erst gar nicht teilnehmen. Auch er saß in Quarantäne.

Gipfel abgesagt

Kein Wunder also, dass die dänische Premiermin­isterin Mette Frederikse­n ganz offen die Frage nach dem Sinn solcher physischen Treffen stellte. Die Bundesregi­erung reagierte postwenden­d und sagte den ursprüngli­ch für November in Berlin geplanten Sondergipf­el ab. Weitere Konsequenz­en blieben allerdings Mangelware.

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Dpa-BILD: Augstein Premier Boris Johnson lässt es offenbar auf einen Brexit ohne Deal ankommen.

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