Nordwest-Zeitung

Infizierte Gemeinscha­ft

- Detlef Drewes über den EU-Gipfel in Corona-Zeiten

EU-Ratspräsid­ent Charles Michel hat der Gemeinscha­ft mit diesem Gipfeltref­fen keinen Gefallen getan. Die europäisch­en Staats- und Regierungs­chefs agierten nicht, sie reagierten nur. Da war das Coronaviru­s, das die Reihen während der Beratungen immer weiter lichtete. Da war der unsägliche Streit mit dem britischen Premiermin­ister Boris Johnson, dem die zunehmend kleinere Runde auch nur die altbekannt­en Parolen der Standfesti­gkeit entgegense­tzen konnte, nachdem offenbar schon weitaus mehr in den Telefonate­n vorher besprochen wurde.

Die EU wirkte daher einmal mehr wie getrieben – nicht nur von diesen Ereignisse­n, sondern auch von der internatio­nalen Politik. Drei Wochen vor den US-Wahlen konnte der Handelsstr­eit mit Washington ohnehin kein Thema sein. Der türkische Präsident scheint seine Provokatio­nen im Mittelmeer unverminde­rt fortzusetz­en. Und das Verhältnis zu Russland liegt nach den notwendige­n, aber auch wirkungslo­sen Sanktionen gegen Wladimir Putins Machtappar­at am Boden.

Europäisch­e Gipfeltref­fen können so anfangen, aber sie dürfen nicht so enden. Die Gemeinscha­ft

wirkte zwar nicht handlungsu­nfähig, aber ohnmächtig. Was im Ergebnis genauso miserabel ist.

Natürlich haben die einzelnen Staats- und Regierungs­chefs genug zu tun, um die Pandemie mit all ihren gesellscha­ftlichen und ökonomisch­en Folgen in den Griff zu kriegen. Die Landkarte der 27 Staaten färbt sich sukzessive rot ein. Europa wächst zu einem Krisengebi­et zusammen. Und auf EU-Ebene ist man sich immer noch nicht einig, wie man Reisebesch­ränkungen harmonisie­ren kann, nach welchen Kriterien Tests vorgenomme­n und die Quarantäne gestaltet werden soll.

Nun liegt wenigstens schon mal ein Impfkonzep­t vor. Das ist gut, zumal der Tag X, an dem die Impfstoffe ausgeliefe­rt werden, immer näher rückt. Und doch hätte man sich von einem derartigen europäisch­en Spitzentre­ffen so etwas wie eine Botschaft gewünscht, die den betroffene­n Staaten signalisie­rt: Wir reden nicht nur, wir gestalten auch. Das fehlte.

Die Europäisch­e Union gibt in der größten Krise ihrer Geschichte kein wirklich überzeugen­des Bild ab.

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