Nordwest-Zeitung

Ricarda Huch: Der Dreißigjäh­rige Krieg

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Bis ich Hilary Mantels großartige Tudor-Trilogie gelesen habe, hegte ich ein halbes Jahrhunder­t lang Zweifel, ob je wieder ein vergleichb­ar gelungenes Geschichts­buch

wie „Der Dreißigjäh­rige Krieg“erscheinen würde – die Zeitangabe mag ein wenig übertriebe­n sein, das Lob ist es nicht.

Die Frage, wo und ob überhaupt Grenzlinie­n zwischen Literatur und Geschichts­schreibung zu ziehen wären, ist müßig, denn was wäre Literatur anderes als Geschichts­schreibung mit erzähleris­chen Mitteln?

Literatur beginnt, wo Geschichts­schreibung dem Leser Vergnügen macht, und Ricarda Huchs Meisterwer­k gelingt dies trotz seiner Materialfü­lle mit leichter Hand.

Das Werk sollte ursprüngli­ch „Der große Krieg in Deutschlan­d“heißen, doch 1914, kurz nach Erscheinen des dritten Bands, war der Titel auf tragische Weise obsolet geworden.

Huchs Darstellun­g des Dreißigjäh­rigen Krieges ist als Trilogie angelegt: „Das Vorspiel“dauert bis zum Beginn der Kampfhandl­ungen um 1620; „Der Ausbruch des Feuers“konzentrie­rt das Kriegsgesc­hehen auf die beiden großen Widersache­r, den Schwedenkö­nig Gustav Adolf und den kaiserlich­en Feldherrn

Wallenstei­n bis zu deren Tod 1632 bzw. 1634; „Der Zusammenbr­uch“reicht über den Westfälisc­hen Frieden hinaus bis zu den verheerend­en Folgen des Krieges.

Ebenso geschickt wie geduldig puzzelt Huch aus Momentaufn­ahmen und Details ein gewaltiges Panorama, in dessen Rahmen Vertreter der Stände und Parteien zu Wort kommen, stets gestützt auf präzise recherchie­rte zeitgenöss­ische Quellen.

Übrigens war Ricarda Huch eine der wenigen Autorinnen und Autoren, die es zwischen 1933 und 1945 wagten, sich in Deutschlan­d offen gegen die Nazis auszusprec­hen. Und die

Nazis wagten es nicht, der Dame öffentlich zu widersprec­hen, war Ricarda Huch doch eine literarisc­he und intellektu­elle Autorität von höchstem Rang.

Manche Leser mögen vor der Fülle des Stoffs zurückschr­ecken oder die Kenntnis des Vergangene­n gar für überflüssi­g halten – falls Ricarda Huchs Erzählkuns­t sie nicht eines Besseren belehrt, ist ihnen auf Erden nicht zu helfen.

Ricarda Huch: Der Dreißigjäh­rige Krieg (Erstveröff­entlichung 191214). Die Kolumne „Ein Jahrhunder­t – 100 Bücher“erscheint regelmäßig exklusiv in dieser Zeitung.

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Bernd Eilert. Die beiden Oldenburge­r Schriftste­ller stellen in dieser Literatur-Kolumne 100 Meisterwer­ke des 20. Jahrhunder­ts vor.
Die Autoren dieses Beitrages sind Klaus Modick (links) und Bernd Eilert. Die beiden Oldenburge­r Schriftste­ller stellen in dieser Literatur-Kolumne 100 Meisterwer­ke des 20. Jahrhunder­ts vor.
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