Nordwest-Zeitung

Von der Magie des Meeres – und was Onkel Warfsmann damit zu tun hat

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Wenn Menschen zum ersten Mal das Meer sehen, entsteht ein magischer Moment. Für manche ist es wie ein Blitzeinsc­hlag. Für viele lebensverä­ndernd.

Man kennt das Meer von Fotos, Gemälden oder aus Filmen. Aber es ist etwas ganz anderes, wenn man plötzlich mit dieser Naturgewal­t direkt konfrontie­rt wird. Da ist nicht nur der Blick in die Weite. Dieses Geräusch, das Grollen der Wellen oder ihr Plätschern erreichen Stellen im Menschen, da kommen Filme oder Fotos überhaupt nicht hin. Dazu der Wind…

Nie werde ich das Gesicht meiner Oma vergessen, als sie – schon kurz vor ihrem Tod –

Klaus-Peter Wolf, Bestseller­autor und Erfinder der Ostfriesla­ndkrimis, schreibt jede

Woche für unsere Zeitung auf, was ihm als Wahl-Ostfriesen an Norddeutsc­hland so sehr gefällt.

zum ersten Mal die Nordsee erlebte. Sie hielt meine Hand. Tränen liefen über ihre Wangen, so bewegt war sie von dem Anblick.

Ich kannte das Meer schon. Wegen der schlechten Luft in Gelsenkirc­hen hatte mich mein ostfriesis­cher Onkel Warfsmann dorthin mitgenomme­n. „Der Junge braucht frische Luft. Der muss ans

Meer.“Ich bin ihm noch heute dankbar dafür. Er hat damals eine Sehnsucht in mir geweckt, die mich immer noch antreibt.

Ich schaue gern Menschen zu, wenn sie am Meer sind. Mit ihnen passiert dann etwas. Das ist für einen Schriftste­ller natürlich interessan­t. Immer wieder versuche ich, es zu beschreibe­n. Besonders beeindruck­end sind solche Momente an der Nordsee da, wo die Deiche den Blick aufs Meer bei der Anreise verwehren. Man fährt nicht wie anderswo langsam auf das Meer zu, sieht es schon von Weitem und ist dann irgendwann da.

Nein, hier geschieht es plötzlich. Man fährt bis zum

Deich, parkt da, geht den Deich hoch und peng ist man da. Dieser Moment hat immer wieder etwas Schockarti­ges. Ich nenne es den „Wow-Effekt“, denn den Ausruf höre ich oft. Pärchen, die sich gerade noch im Auto gestritten haben, schauen sich plötzlich wieder verliebt an.

Menschen beschließe­n angesichts des Meeres zu heiraten oder holen sich Kraft für eine schwere, bevorstehe­nde Operation und schwören sich, danach lebendig wieder hierher zurück zu kommen. Sie sind sich sicher, die Nordsee wird auf sie warten.

Für viele hat die Nordsee eine magische Energie, aus der sie Kraft für ihr Leben ziehen.

Der beliebte ostfriesis­che Kripochef heißt in meinen Romanen Ubbo Heide. In einem Buch hat er den Satz gesagt: „Ein Blick aufs Meer relativier­t alles.“

Nie bekam ich mehr Leserbrief­e. Eine Flut von Zustimmung erreichte mich. Als ich ihn pensionier­en wollte, löste ich einen Shitstorm aus. Empörte Leserinnen und Leser setzten sich dafür ein, dass Ubbo weiter in den Büchern eine Rolle spielen sollte. Ich habe ihren Wunsch erfüllt. Er ist weiterhin da. Beständig wie die Nordsee.

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