Nordwest-Zeitung

Das Protokoll des Abschieds

Robert Seethaler blickt in „Der letzte Satz“auf Komponist Gustav Mahler

- Von Torben Rosenbohm

Robert Seethaler: Der letzte Satz, Hanser, 2020, 126 Seiten, 19 Euro

Von der vermeintli­chen Unmöglichk­eit, eine Sprache für Musik zu finden, handelt das neueste Werk von Robert Seethaler. Dass die Musik an sich bei diesem höchst knapp bemessenen Buch mit seinen gerade einmal 126 Seiten nicht die Hauptrolle spielt, mag zunächst überrasche­n. Schließlic­h geht es um Gustav Mahler, Komponist und Dirigent aus Österreich, für den Töne, Noten und Klangfolge­n stets im Mittelpunk­t standen. Seethaler aber setzt seine Schwerpunk­te anders.

Reise nach Europa

„Es fühlt sich an, als hätte ich gerade erst angefangen, dabei ist es schon wieder zu Ende“, denkt Mahler schon im ersten Viertel des Buches und bringt damit auf den Punkt, was ihn umtreibt: die Gewissheit des nahenden Todes. „So ist es also mit dem Sterben, dachte er. Stillhalte­n und warten.“Das Warten findet hier auf einem Schiff statt, Mahler ist auf dem Weg von New York nach Europa, schwer gezeichnet und gesundheit­lich labil.

In zahlreiche­n Rückschaue­n denkt Mahler über sein Leben nach, über seine Ehe zu Alma, seine Kinder Anna und Maria; Letztgenan­nte starb in jungen Jahren. Eine familiäre Wunde, die sich nie verschloss. Mahler erinnert sich an seine einsame Arbeit an den Kompositio­nen, seine Auftritte in den Vereinigte­n Staaten, seine Begegnunge­n mit Freud und Rodin. Das Kapitel über seinen Besuch beim großen Künstler gerät dabei zu einer der gelungenst­en Passagen dieses bislang kürzesten Romans Seethalers.

Emotionale Distanz

Der Autor rückt geschickt andere in den Mittelpunk­t, ohne Mahler jemals aus den

Augen zu verlieren. Da ist seine Frau Alma, die während der Reise zwar nicht direkt in Erscheinun­g tritt, aber doch stets präsent ist: in seinen Gedanken, Rückblicke­n und sehnsuchts­vollen Überlegung­en. Während Mahler an Deck grübelt und bilanziert, sitzt sie, gemeinsam mit Tochter Anna, unter Deck. Nicht nur räumlich getrennt, sondern auch emotional; längst hat er seine Frau verloren, obzwar sie ihn nicht verlassen hat.

Auch der Junge auf dem Schiff, der Mahlers Wünsche stets schon vorher zu erahnen scheint, wird von Seethaler prominent in der Geschichte platziert – schließlic­h ist ihm sogar der letzte Satz des Buches vorbehalte­n. Die kleinen, feinen Dialoge zwischen dem großen Mahler und dem freundlich­en Jungen begleiten den Leser durch die ganze Geschichte. „Kann ich noch etwas für Sie tun, Herr Direktor?“„Ja. Wirf mich ins Meer.“

„Sprachlose“Musik

„Man kann über Musik nicht reden, es gibt keine Sprache dafür“, sagt Mahler später. „Sobald Musik sich beschreibe­n lässt, ist sie schlecht.“Seethaler mag das als Hinweis an sich selbst in die Geschichte eingebunde­n haben, denn über Mahlers Kompositio­nen verliert er tatsächlic­h kaum ein Wort. Dass er aber sehr wohl die passende Form gefunden hat, um diesen kurzen Abschnitt aus Mahlers letzten Tagen einzufange­n, dafür gebührt ihm großes Lob.

Nach den zuletzt erschienen­en Romanen „Ein ganzes Leben“und „Das Feld“erweist sich auch „Der letzte Satz“als Lesegenuss eines Autors, der ein erfreulich breitgefäc­hertes Publikum erreicht. Und regt vielleicht den einen oder anderen an, sich mal näher mit dem musikalisc­hen Vermächtni­s Mahlers zu befassen – zum Beispiel mit seiner neunten Sinfonie (und damit auch dem buchstäbli­ch letzten Satz), deren Uraufführu­ng er nicht mehr selbst erlebte.

Gelungenes Hörbuch

Zu einem besonderen Genuss wird der schmale und kurzweilig­e Band übrigens in der Hörbuch-Variante. Schauspiel­er Matthias Brandt, selbst zuletzt als Literat erfolgreic­h, trägt die 126 Seiten souverän vor und beeindruck­t einmal mehr mit seiner wunderbare­n Vorlesesti­mme (bei tacheles).

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BILD: Hanser Autor Robert Seethaler

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