Nordwest-Zeitung

Weil droht mit Sperrstund­e

Trotz hoher Infektions­zahlen Maßnahme bislang nur in drei Kreisen

- Von Elmar Stephan

Hannover/Im Nordwesten – Derzeit gibt es nur drei Landkreise in Niedersach­sen, die auf eine Sperrstund­e setzen – trotz hoher Infektions­zahlen. Ministerpr­äsident Stephan Weil machte am Sonntag deutlich, dass das Land seine Corona-Regeln verschärfe­n wird. „Wir werden die Sperrstund­e in Niedersach­sen Punkt für Punkt umsetzen und im Zweifel auch in die nötigen Gerichtsve­rfahren gehen“, sagte der SPD-Politiker der „Welt“. Eine Sperrstund­e sei ein milderes Mittel als die Schließung von Restaurant­s und Lokalen.

Schnelle Einführung

Beim Corona-Gipfel hatten sich Bund und Länder auf die Regel verständig­t, in Hotspots ab 23 Uhr eine Sperrstund­e zu verhängen. So soll verhindert werden, dass stark alkoholiBe­ntheim

sierte Gäste sich nicht mehr an die Abstandsre­geln halten.

Neben den beiden Kreisen des Oldenburge­r Münsterlan­des nutzt auch die Grafschaft Bentheim diese Maßnahme, um die Zahlen einzudämme­n. Am längsten gibt es die Sperrstund­e bereits im Landkreis

Cloppenbur­g. Dort müssen seit vergangene­r Woche Gaststätte­n und Kneipen ab 23.30 Uhr schließen – möglicherw­eise werde das noch vorverlegt, sagte ein Sprecher.

Im Landkreis Vechta wurde ab Samstag eine Sperrstund­e eingeführt. In der Grafschaft müssen seit Donnerstag Kneipen, Restaurant­s und Cafés von 23 Uhr bis 6 Uhr geschlosse­n sein.

Sorge vor Klage

Die Nachbarlan­dkreise Osnabrück und Emsland sowie der Kreis Northeim im Süden Niedersach­sens und die Stadt Delmenhors­t – allesamt Regionen mit Werten von mehr als 50 Neuinfekti­onen pro 100 000 Einwohnern innerhalb von sieben Tagen – haben bislang keine Sperrstund­e beschlosse­n.

Die dortigen Kommunalbe­hörden warten aufs Land Niedersach­sen. „Die Einführung einer Sperrstund­e hängt von der Verordnung des Landes ab. Diese liegt noch nicht vor“, heißt es etwa in Delmenhors­t. Die Sorge ist, dass Gastronome­n gegen eine Sperrstund­e klagen könnten – wie in Berlin.

Den Haag – Das Coronaviru­s schlägt in der zweiten Welle hart zu in den Niederland­en, und die Bürger machen Party. Während die Abgeordnet­en in Den Haag am Mittwochab­end über die düstere Realität debattiert­en, grölten, tranken und tanzten Hunderte in Partyzelte­n auf dem Platz vor dem Parlaments­gebäude. Ähnliche Szenen wurden auch aus anderen Städten gemeldet.

Touristen wunderten sich bereits in den Sommermona­ten darüber, wie locker es die Niederländ­er mit der Coronakris­e nahmen. Kaum war der erste „intelligen­te Lockdown“vorbei, ging das normale Leben wieder voll weiter. Keine Masken, keine Kontrollen, aber dichtes Gedränge in Geschäften und Kneipen.

Inzwischen griff das Coronaviru­s in Windeseile um sich. Binnen 24 Stunden wurden am Freitag knapp 8000 Neuinfekti­onen gemeldet – in einem Land mit gut 17 Millionen Einwohnern. Bedrohlich ist die Lage in Krankenhäu­nun

sern und auf Intensivst­ationen. Dort liegen bereits so viele Covid-19-Patienten, dass die normale Pflege für andere Patienten abgebaut wird.

Alarmsigna­le auf Rot

Alle Alarmsigna­le stehen auf Rot. Die Lage sei bedrohlich­er als im Frühjahr, sagte der Amsterdame­r Virologe Hans Zaaijer der Zeitung „De Telegraaf“. „Wir befinden uns im Vorlauf einer Katastroph­e.“

Um die abzuwenden, verhängte Premier Mark Rutte den „Teil-Lockdown“. Unter anderem Gaststätte­n sind geschlosse­n und eine Maskenpfli­cht wird eingeführt.

Die Gesichtsma­sken wurden zum Symbol für die wankelmüti­ge Politik. Der rechtslibe­rale Premier hält sie für Unsinn. Doch zu Beginn der Woche erschien er auf einmal selbst mit einem „maskertje“, einem „Mäskchen“, wie er fast liebevoll sagte. Ein Signal für die Bürger: Jetzt wird es ernst.

Rutte würde das Virus am liebsten nur mit den einfachste­n Geboten bekämpfen: Hände waschen, 1,5 Meter Abstand, Testen bei Symptomen. Der 53-Jährige hält auch nicht viel von Anordnunge­n. „Ich bin doch kein Diktator“, sagt er. „Wir sind alle erwachsen.“

Das kommt den Niederländ­ern sehr entgegen, die sich

einmal nicht gern etwas vorschreib­en lassen. Viele Bürger, so bemängelte das „NRC Handelsbla­d“, legen die wenigen Corona-Regeln so aus, wie es ihnen am besten passt. Nur drei Gäste empfangen? Dann laden wir doch pro Stunde drei ein. 1,5 Meter Abstand? Ach, ich kann das Virus doch nicht kriegen. Positiv getestet? 20 Prozent gehen doch noch eben schnell einkaufen.

Schlechte Organisati­on

„Wir alle haben es nicht gut gemacht“, gibt der Premier zu. Doch inzwischen wird seine Regierung auch verantwort­lich dafür gemacht, dass die Dinge so aus dem Ruder laufen konnten. Schon das Testen funktionie­rt nicht – trotz aller Verspreche­n. Und die im März mit viel Tamtam angekündig­te Corona-App wurde erst sieben Monate später eingeführt.

Das Schlimmste will das Land nun in einer letzten Kraftanstr­engung verhindern. Für mindestens vier Wochen liegt das soziale Leben weitgehend still. Der Tanz mit dem Virus ist vorbei – vorläufig.

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DPA-BILD: Wenstedt Von Sorge keine Spur: Trotz Corona genossen noch im Juli zahlreiche Menschen das heiße Wetter am Strand von Schevening­en. Jetzt muss das Land erneut in einen Teil-Lockdown.

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