DIE FRAU IM GRÜNEN KLEID
65. Fortsetzung
,,Ja, ja", stammelte er. ,,Das stimmt alles. Ich gehe leichtfertig mit Geld um, und vielleicht überschätze ich mich. Aber Jean ist hilflos und unschuldig. Bitte, du musst ihn stillen. Über alles andere können wir später reden."
Sie nahm das Kind, und während Jean gierig saugte, wurde ihr Gesicht weich. ,,Ich habe die Tür offen gelassen?", fragte sie.
,,Daran kann ich mich nicht erinnern. Wie lange war ich fort? Mir ist so kalt."
,,Ich werde dich wärmen", erwiderte er und streichelte den Kopf seines Sohnes. ,,Ich liebe dich."
Langsam gingen sie mit dem Kind zum Haus zurück. Claude zündete das Feuer an und kochte eine dünne Gerstensuppe. Er las den Brief mit der Nachricht über die Bilder und schüttelte den Kopf. Essen konnte er nicht. Er saß ihr gegenüber am Tisch, griff nach ihrer Hand und fragte: ,,Was soll ich machen?"
Sie war wieder vollkommen ruhig. ,,Claude", sagte sie, ,,es war falsch von mir, mich so aufzuregen und wegzulaufen. Wir bringen das Geld schon auf, um deine Bilder auszulösen, und außerdem hast du ja die neuen, die du hier gemalt hast. Wir müssen nach Paris zurückkehren. Ich vermisse meine Schwester und unsere Freunde. Wir brauchen unsere Freunde. Wir müssen zusammenhalten. Hier sind wir zu allein. Du bist nicht nur ein Träumer. Ich glaube an dich."
Er konnte seiner Stimme kaum trauen. ,,Wir haben kein Geld für den Zug."
,,Dann verkaufen wir eben unsere Bücher und versetzen meine Wollkleider."
,,Deine Kleider? Merde! Minou, deine Kleider?"
In dieser Nacht wälzte er sich auf sie, teilte ihre Beine und drang in sie ein. Sie klammerte sich an ihn. ,,Du bist überhaupt nicht leer", sagte er. ,,Ich werde dich mit allem anfüllen, was ich bin."
,,Ich werde dir alles geben, was ich bin." ,,Nur deine Liebe. Ich bin das Meer."
1869
Was soll man über einen Mann sagen, der an nichts anderem interessiert ist als an seiner Malerei?
C L A U D E M O N E T
Die Fahrt nach Hause war schwierig gewesen: viele Stunden in einem Abteil der dritten Klasse auf harten Sitzen und ohne Heizung, ihr leichteres Gepäck und seine zusammengeschnürten Bilder. Alle drei zitterten vor Kälte und putzten sich die Nasen mit feuchten Taschentüchern. In Paris angekommen, schickte er Camille mit Jean zu ihrer Schwester, während er im Atelier schlafen würde. Er fieberte, und Frédéric überließ ihm sein Schlafzimmer, damit er sich ausruhen konnte. Mitten in der Nacht hörte er Frédéric herumlaufen und erhob sich. Das Atelier war dunkel bis auf eine Tischlampe, und die Staffeleien standen im Schatten unter den hängenden Bildern.
,,Konntest du nicht schlafen?", fragte Claude gähnend. ,,Kommt mir vor wie in alten Zeiten. Du bist nachts immer herumgelaufen. Was riecht da so gut?"
,,Julie hat vorhin einen Topf Rinderbrühe gebracht, und ich habe mir etwas davon warm gemacht, weil ich dachte, danach vielleicht besser schlafen zu können. Setz dich zu mir, dann können wir zusammen essen." Claude zog sich seinen alten Stuhl heran. Er betrachtete die angeschlagene Suppenschale, die vor ihm stand. Ein paar Minuten lang war nur das Klirren ihrer Zinnlöffel am
Schalenrand zu hören.
Dann legte Claude seinen Löffel weg und erzählte seinem Freund stockend, was passiert war, wobei er manches zu verharmlosen suchte. Er sah, wie sich Frédérics lange Hände auf den Tisch drückten. ,,Ah putain!", knurrte Frédéric. ,,Vielleicht hätte ich etwas tun können. Du hast es mich nicht wissen lassen."
,,Ich wollte selbst damit fertig werden, dachte bis zum Schluss, dass es mir gelingen würde. Manchmal wünsche ich mir, mein Leben wäre so einfach wie deines, mon ami."
,,Mein Leben ist nicht einfach", erwiderte Frédéric nachdenklich mit seiner tiefen Stimme und blickte auf die flackernde Lampe zwischen ihnen. ,,Du solltest das wissen. Schau mich an. Ich bin nicht verliebt, und ich werde heiraten. Ich kann Lily nicht so lieben, wie du Camille liebst. Das ist alles nur ein Kompromiss, um das zu bekommen, was ich mir wünsche – nämlich hier bei euch allen zu bleiben und zu malen." Mit einem plötzlichen Lächeln schaute er zu Claude auf und rief: ,,Wie auch immer, ich habe ein paar gute Nachrichten, die es wert waren, dich zu wecken!" ,,Dann raus damit."
,,Ich konnte nicht schlafen, darum habe ich meine Briefe von zu Hause gelesen. Fall nicht vom Stuhl. Meine Familie hat sich bereit erklärt, unsere Ausstellung im nächsten Herbst zu finanzieren."
Claude starrte ihn an. ,,Wirklich? Und du träumst nicht?"
,,Nein, es steht da in der gebieterischen Handschrift meines Vaters. Cher ami, et cetera." Frédéric lehnte sich auf dem Stuhl zurück, die Hände hinter dem Kopf verschränkt.
,,Wirklich? Ehrlich?" Claude warf den Kopf zurück und begann zu lachen. ,,Wie kann etwas so Wunderbares … du Schuft von einem Genie! Wie kannst du das so ruhig aussprechen? Wie konntest du es mir vorenthalten? Wissen es die anderen?"
Fortsetzung folgt