Nordwest-Zeitung

Als Kranke braucht man in Corona-Zeiten dickes Fell

Tanja Stinka leidet unter MS und Asthma – Ohne Maske vor Hinderniss­e gestellt

- Von Imke Harms

Hundsmühle­n – „Man muss sich wirklich ein dickes Fell anschaffen“, sagt Tanja Stinka und ballt ihre Faust in ihrem Schoß. Die 49-jährige Hundsmühle­rin sitzt seit drei Jahren im Rollstuhl, die Diagnose Multiple Sklerose (MS) erschwert ihr zunehmend den Alltag.

Probleme ohne Maske

Ihr Gleichgewi­chtssinn ist betroffen. Sie ist fleißig und disziplini­ert, versucht täglich, ihre Übungen zu absolviere­n, sich aufzuricht­en, sich im wahrsten Sinne des Wortes nicht hängen zu lassen. Unterstütz­ung hat sie von ihrem Partner Oliver Reß. Doch auch der kann ihr die Sorgen in der momentanen Corona-Krise nicht nehmen. Zusätzlich zu der MS leidet Tanja Stinka nämlich noch an einer Lungenkran­kheit und an Asthma. Das Problem: „Sobald ich eine Maske aufsetze, bekomme ich Atemnot und beginne, zu hyperventi­lieren.“

Ihr Hausarzt befreite sie von der Maskenpfli­cht. Dass sie ohne Maske nicht überall auf offene Türen stößt, liegt auf der Hand. „Hier im engeren Umkreis in den Supermärkt­en kennen uns die Leute“, so Oliver Reß. Seine Lebensgefä­hrtin erfahre dort deshalb selten Anfeindung­en – jedenfalls nicht vom Personal. „Doch einige Kunden drücken mir manchmal blöde Sprüche“, denkt Tanja

Stinka nach. „Zu Beginn habe ich meist noch das Attest herausgeho­lt und versucht, mich zu erklären, aber das hat es noch schlimmer gemacht.“Sie gehört durch ihr Asthma selbst zur Risikogrup­pe.

Perspektiv­en wechseln

Wieso sie dann nicht einfach gleich Zuhause bliebe, hätte man sie gefragt. Das macht sie traurig – und auch wütend. „Wer gesund ist, der hat keine Vorstellun­g davon, wie es ist, behindert und dadurch in allem eingeschrä­nkt zu sein“, weiß Stinka. Gesunde sollten in ihren Augen daher ab und zu mal die Perspektiv­e wechseln und sich in Kranke hineinvers­etzen. Spontan auf eine Insel fahren? Keine Chance, wenn man auf einen Rollstuhl angewiesen ist. Mal eben in ein Schwimmbad? Auch da sind lange Planungsze­iten erforderli­ch. „Klar habe ich Angst, an Corona zu erkranken. Aber noch schlimmer wäre, wenn ich mich weiter Zuhause einigele und gar nicht mehr am gesellscha­ftlichen Leben teilhabe.“Sie habe sowieso schon viel aufgeben müssen. „Wir waren leidenscha­ftliche Camper. Aber rollstuhlg­erechte Wohnwagen sind unbezahlba­r. Wir haben alles verkauft“, sagt Stinka traurig.

Entmutigen lassen möchte sie sich dennoch nicht. Sie hat ihr nächstes Ziel schon vor Augen. „Ich will wieder Autofahren, ich übe fleißig und meine Ergotherap­eutin darf mich ja jetzt auch wieder behandeln.“Im kommenden Jahr soll es endlich in den Urlaub gehen. Und vielleicht braucht dann ja auch ihr Lebensgefä­hrte keine Maske mehr.

 ?? BILD: Imke Harms ?? Haben das Lächeln noch nicht verlernt: Oliver Reß und Tanja Stinka.
BILD: Imke Harms Haben das Lächeln noch nicht verlernt: Oliver Reß und Tanja Stinka.

Newspapers in German

Newspapers from Germany