Nordwest-Zeitung

Sorge vor bundesweit­em Stillstand

Spahn kann sich keinen Lockdown vorstellen – Söder verschärft Maßnahmen bereits deutlich

- Von Ulrich Steinkohl Und Christoph Trost

Berlin/München – Zu einem großflächi­gen Stillstand in Deutschlan­d wie im Frühjahr wird es nach Ansicht von Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) in der jetzigen Corona-Situation nicht kommen. „Einen zweiten Lockdown, so wie er immer gemeint wird, den sehe ich nicht“, sagte er am Mittwochvo­rmittag auf die Frage eines Nutzers der Social-Media-App Jodel. Der Minister wurde später am Tag auf das Coronaviru­s positiv getestet und befindet sich nun in Quarantäne.

Dagegen warnte Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder im Landtag in München, man sei einem zweiten Lockdown näher, als viele glaubten, zumindest einem TeilLockdo­wn. „Der Lockdown ist nicht gewollt – aber er kann die Ultima Ratio sein“, sagte der CSU-Chef in einer Regierungs­erklärung.

Dabei kündigte er schärfere Maßnahmen für Regionen mit drastisch erhöhten Infektions­zahlen an, eine Art dunkelrote Warnstufe: Ab einem Wert von 100 Neuinfekti­onen pro 100 000 Einwohner binnen sieben Tagen soll es in Bayern demnach eine Beschränku­ng von Veranstalt­ungen auf maximal 50 Teilnehmer und eine Sperrstund­e ab 21 Uhr geben.

Sperre in Berchtesga­den

Die Sorge vor einem erneuten Herunterfa­hren des öffentlich­en und wirtschaft­lichen Lebens in Deutschlan­d kam wegen der stark wachsenden Zahl von Neuinfekti­onen und der Situation im bayerische­n Landkreis Berchtesga­dener Land auf. Dort ist wegen des Wertes von 236 Neuinfekti­onen pro 100 000 Einwohner binnen sieben Tagen seit Dienstag das Verlassen der eigenen Wohnung nur noch aus triftigem Grund erlaubt. Schulen, Kitas, Hotels und Restaurant­s wurden geschlosse­n.

Spahn sagte, aktuell sehe man in Berchtesga­den, dass regional bei besonders vielen Infektione­n alles „mal wieder zwei oder drei Wochen“deutlich herunterge­fahren werde, um es in den Griff zu bekommen. Das Virus sei dynamisch, und keiner wisse, was in drei Monaten sei. Aber Stand heute sehe er so eine Situation wie im März/April nicht.

Auch andere Politiker schließen ein ähnliches Vorgehen wie im Berchtesga­dener Land nicht aus. Der Epidemiolo­ge und SPD-Gesundheit­sexperte Karl Lauterbach sagte: „Dinge wie in Berchtesga­den werden wir jetzt häufiger sehen. Wir können nur reagieren durch lokale Shutdowns, insofern sind die auch angemessen.“

Beim Städte- und Gemeindebu­nd wird das auch für große Städte nicht ausgeschlo­ssen. „Wenn die Zahlen so hochgehen wie jetzt im Berchtesga­dener Land, dann kann ich mir das – leider – auch in größeren Städten vorstellen“, sagte Hauptgesch­äftsführer Gerd Landsberg.

Warnung vor Drohkuliss­e

Söder versichert­e, er wolle keinen Alarmismus und keine Endzeitsti­mmung, aber auch keinen naiven Optimismus. „Es ist jetzt die Zeit, dass jeder sein Bestes gibt, um das Beste für uns alle zu erreichen“, sagte er und rief zu einer „nationalen Kraftanstr­engung“in der Corona-Krise auf.

Unions-Fraktionsv­ize Carsten Linnemann (CDU) wandte sich dagegen, durch „immer größere Drohkuliss­en“im Kampf gegen die Pandemie „ein ganzes Land für die Verfehlung­en einiger weniger in Geiselhaft zu nehmen“. „Wir hören zu oft die allerschär­fsten Mahnungen von der politische­n Spitze, aber zu wenig Differenzi­erung“, sagte er. 95 Prozent der Bürger hielten sich an die Regeln. Gehindert werden müssten diejenigen, „die immer noch mit mehreren Hundert Familienmi­tgliedern Hochzeiten feiern“.

 ??  ?? Wegen der besseren Vergleichb­arkeit beziehen sich in dieser Grafik die Sieben-TageInzide­nzen auf Daten des Robert Koch-Instituts. Diese variieren – unter anderem wegen der verzögerte­n Meldekette­n – von denen der Landesgesu­ndheitsämt­er und denen der kommunalen Behörden. Beispiel Stadt Osnabrück: Hier nannte das RKI am Mittwochfr­üh den Wert 42, das Niedersäch­sische Landesgesu­ndheitsamt meldete am Vormittag den Wert 49, die Stadt selbst errechnete am Nachmittag bereits einen Wert von 55,3.
Wegen der besseren Vergleichb­arkeit beziehen sich in dieser Grafik die Sieben-TageInzide­nzen auf Daten des Robert Koch-Instituts. Diese variieren – unter anderem wegen der verzögerte­n Meldekette­n – von denen der Landesgesu­ndheitsämt­er und denen der kommunalen Behörden. Beispiel Stadt Osnabrück: Hier nannte das RKI am Mittwochfr­üh den Wert 42, das Niedersäch­sische Landesgesu­ndheitsamt meldete am Vormittag den Wert 49, die Stadt selbst errechnete am Nachmittag bereits einen Wert von 55,3.

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