Sorge vor bundesweitem Stillstand
Spahn kann sich keinen Lockdown vorstellen – Söder verschärft Maßnahmen bereits deutlich
Berlin/München – Zu einem großflächigen Stillstand in Deutschland wie im Frühjahr wird es nach Ansicht von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in der jetzigen Corona-Situation nicht kommen. „Einen zweiten Lockdown, so wie er immer gemeint wird, den sehe ich nicht“, sagte er am Mittwochvormittag auf die Frage eines Nutzers der Social-Media-App Jodel. Der Minister wurde später am Tag auf das Coronavirus positiv getestet und befindet sich nun in Quarantäne.
Dagegen warnte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder im Landtag in München, man sei einem zweiten Lockdown näher, als viele glaubten, zumindest einem TeilLockdown. „Der Lockdown ist nicht gewollt – aber er kann die Ultima Ratio sein“, sagte der CSU-Chef in einer Regierungserklärung.
Dabei kündigte er schärfere Maßnahmen für Regionen mit drastisch erhöhten Infektionszahlen an, eine Art dunkelrote Warnstufe: Ab einem Wert von 100 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner binnen sieben Tagen soll es in Bayern demnach eine Beschränkung von Veranstaltungen auf maximal 50 Teilnehmer und eine Sperrstunde ab 21 Uhr geben.
Sperre in Berchtesgaden
Die Sorge vor einem erneuten Herunterfahren des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens in Deutschland kam wegen der stark wachsenden Zahl von Neuinfektionen und der Situation im bayerischen Landkreis Berchtesgadener Land auf. Dort ist wegen des Wertes von 236 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner binnen sieben Tagen seit Dienstag das Verlassen der eigenen Wohnung nur noch aus triftigem Grund erlaubt. Schulen, Kitas, Hotels und Restaurants wurden geschlossen.
Spahn sagte, aktuell sehe man in Berchtesgaden, dass regional bei besonders vielen Infektionen alles „mal wieder zwei oder drei Wochen“deutlich heruntergefahren werde, um es in den Griff zu bekommen. Das Virus sei dynamisch, und keiner wisse, was in drei Monaten sei. Aber Stand heute sehe er so eine Situation wie im März/April nicht.
Auch andere Politiker schließen ein ähnliches Vorgehen wie im Berchtesgadener Land nicht aus. Der Epidemiologe und SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sagte: „Dinge wie in Berchtesgaden werden wir jetzt häufiger sehen. Wir können nur reagieren durch lokale Shutdowns, insofern sind die auch angemessen.“
Beim Städte- und Gemeindebund wird das auch für große Städte nicht ausgeschlossen. „Wenn die Zahlen so hochgehen wie jetzt im Berchtesgadener Land, dann kann ich mir das – leider – auch in größeren Städten vorstellen“, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg.
Warnung vor Drohkulisse
Söder versicherte, er wolle keinen Alarmismus und keine Endzeitstimmung, aber auch keinen naiven Optimismus. „Es ist jetzt die Zeit, dass jeder sein Bestes gibt, um das Beste für uns alle zu erreichen“, sagte er und rief zu einer „nationalen Kraftanstrengung“in der Corona-Krise auf.
Unions-Fraktionsvize Carsten Linnemann (CDU) wandte sich dagegen, durch „immer größere Drohkulissen“im Kampf gegen die Pandemie „ein ganzes Land für die Verfehlungen einiger weniger in Geiselhaft zu nehmen“. „Wir hören zu oft die allerschärfsten Mahnungen von der politischen Spitze, aber zu wenig Differenzierung“, sagte er. 95 Prozent der Bürger hielten sich an die Regeln. Gehindert werden müssten diejenigen, „die immer noch mit mehreren Hundert Familienmitgliedern Hochzeiten feiern“.