Nordwest-Zeitung

Lüften senkt Virenlast im Klassenzim­mer

Göttinger Forscher Bodenschat­z erklärt Erkenntnis­se zu Verbreitun­g von Aerosolen

- Von Stefan Idel, Büro Hannover

Herr Dr. Bodenschat­z, wurde die These, dass eine hohe Infektions­gefahr durch Aerosole – also kleinste Luftpartik­el – in geschlosse­nen Räumen besteht, schon widerlegt? Bodenschat­z: Nein, die Datenbasis ist sehr solide. Es wird unterschie­den zwischen Tröpfchen, die aus dem Mundraum kommen und jenen aus der Lunge. Gerade die kleineren Tröpfchen bleiben als Aerosole lange im geschlosse­nen Raum.

Also gilt nach wie vor Abstand halten? Bodenschat­z: Ja, in der Regel kommen beim Sprechen die Tröpfchen bis 1,50 Meter weit. Die Aerosole allerdings verbleiben als virale Last im Raum. Sie sind erst in einer Aerosolbla­se und mischen sich im ganzem Raum. Die viralen Aerosole können circa drei Stunden lang ansteckend bleiben. Man muss sich also nicht in der Nähe einer kranken Person aufhalten, um sich anzustecke­n. Zur Erklärung: In der Nähe der infizierte­n Person entsteht eine Aerosolbla­se, etwa wie Zigaretten­rauch in der Nähe eines Rauchers. Dort ist es besonders ansteckend. Die 1,50 bis 2 Meter Sicherheit­sabstand machen also auch für Aerosole Sinn. In Wuhan (China) hat so eine von der Raumluft weitergetr­agene Aerosolbla­se ziemlich sicher zu einer Ansteckung von Personen an nebeneinan­der liegenden Tischen geführt. Grundsätzl­ich ist es gut, wenn die Luft gemischt wird und die virale Last im Raum verdünnt wird.

Für die Schulen wird empfohlen, spätestens nach 20 Minuten das Klassenzim­mer zu lüften. Ist das ein Patentreze­pt? Bodenschat­z: Hier erweist sich die kalte Jahreszeit als Vorteil. Der Luftaustau­sch funktionie­rt viel besser, weil die warme Luft nach draußen entweiheiß­t:

chen kann. Als Faustregel gilt: Wenn es im Zimmer kühl wird, war die Lüftungsze­it ausreichen­d. Wenn man in den Ecken des Zimmers Thermomete­r hat, kann man das schnell verfolgen. Ein prima Experiment für eine Klasse.

Lässt sich die Aerosolkon­zentration mit CO2-Messgeräte­n ermitteln? Bodenschat­z: Nein, CO2-Geräte messen nicht die Aerosolkon­zentration. Wenn kein Covid-19-Infizierte­r im Raum ist, wäre die CO2-Konzentrat­ion die gleiche. Über das CoronaRisi­ko sagen CO2-Geräte nichts aus! Schon gar nicht lässt sich erkennen, wie viele kranke Personen sich im Raum befinden. Eine CO2-Messung sagt etwas über die Verdünnung der Luft beim Lüften aus – also den Austausch von CO2 durch die Außenluft. In der kalten Jahreszeit reicht ein Thermomete­r ebenso gut aus, um festzustel­len, ob die kalte Luft angekommen ist.

Wären Raumluftre­iniger eine sinnvolle Lösung? Bodenschat­z: Wir haben Filter getestet, die sehr gut funktionie­ren und 400 Kubikmeter pro Stunde umwälzen. Das Die Luft in einem Klassenrau­m mit 100 Kubikmeter würde viermal pro Stunde gereinigt. Es gibt dazu Berechnung­smodelle, die zum Beispiel von der Universitä­t von Colorado, aber auch von uns entwickelt werden. Unsere Aerosol-App HEADS, die auf Messungen von 120 Probandinn­en und Probanden beruht, wird in den nächsten Tagen im Internet verfügbar sein. Wir sind noch dabei, eine Anleitung zu schreiben. Übrigens: Bei den Aerosolmes­sungen konnten wir nachweisen, dass die virale Last beim Singen um ein Zehnfaches höher als beim Sprechen ist. Der Ventilator des Raumluftre­inigers hat zudem den Vorteil, dass er die Luft mischt.

Das dürfte Auswirkung­en auf die Gottesdien­ste haben. Ist Weihnachte­n in Gefahr? Bodenschat­z: Wichtig ist: Abstand einhalten und für eine gute Durchlüftu­ng des Raums sorgen. Im Rahmen eines Projekts am Max-Planck-Institut testen wir derzeit Filter für Blasinstru­mente. Ich kann mir vorstellen, dass spätestens in einem Monat profession­elle Filter zum Einsatz für Blasinstru­mente erhältlich sind. Damit würde die Aerosolbel­astung in den Räumen durch

Blasinstru­mente unterhalb der normalen Atemluft liegen. Masken helfen auch sehr viel – aber die müssen halt dicht am Gesicht sein. Mit einer am Gesicht dichten FFP2-Maske kann ich 500-mal länger im Raum bleiben als ohne. Also nach einer Minute ohne Maske oder 500 Minuten mit Maske – dann habe ich die gleiche Zahl an infektiöse­n Aerosolen eingeatmet. Hat die Maske eine Leckage an Mund und Nase – dann ist die Wirkung nur etwa fünffach. Das Gebot der Stunde ist es, dass die Masken so dicht wie eben möglich am Gesicht anliegen.

Wie ist es mit dem Sprechen? Bodenschat­z: Beim Schreien oder lautem Sprechen werden ebenso viele Aerosole freigesetz­t wie beim Husten. Messungen haben ergeben, dass die Tröpfchen beim Husten bis zu sechs Meter weit geschleude­rt werden. Das erklärt auch die vielen Infektione­n bei Familienfe­iern: In einem Raum, in dem sehr laut gesprochen wird, ist die Aerosolbel­astung innerhalb kürzester Zeit sehr hoch. Wenn kranke Personen im Raum sind, ist die Ansteckung­sgefahr um ein Vielfaches höher.

 ?? Dpa-BILD: Fabian Sommer ?? Mit Ventilator­en wird in einem feinen Nebel Desinfekti­onsmittel in den Besucherbe­reich des Berliner Ensembles verteilt. So soll über Aerosole der Saal desinfizie­rt werden, um einer Ansteckung mit dem Coronaviru­s vorzubeuge­n.
Dpa-BILD: Fabian Sommer Mit Ventilator­en wird in einem feinen Nebel Desinfekti­onsmittel in den Besucherbe­reich des Berliner Ensembles verteilt. So soll über Aerosole der Saal desinfizie­rt werden, um einer Ansteckung mit dem Coronaviru­s vorzubeuge­n.

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