Lüften senkt Virenlast im Klassenzimmer
Göttinger Forscher Bodenschatz erklärt Erkenntnisse zu Verbreitung von Aerosolen
Herr Dr. Bodenschatz, wurde die These, dass eine hohe Infektionsgefahr durch Aerosole – also kleinste Luftpartikel – in geschlossenen Räumen besteht, schon widerlegt? Bodenschatz: Nein, die Datenbasis ist sehr solide. Es wird unterschieden zwischen Tröpfchen, die aus dem Mundraum kommen und jenen aus der Lunge. Gerade die kleineren Tröpfchen bleiben als Aerosole lange im geschlossenen Raum.
Also gilt nach wie vor Abstand halten? Bodenschatz: Ja, in der Regel kommen beim Sprechen die Tröpfchen bis 1,50 Meter weit. Die Aerosole allerdings verbleiben als virale Last im Raum. Sie sind erst in einer Aerosolblase und mischen sich im ganzem Raum. Die viralen Aerosole können circa drei Stunden lang ansteckend bleiben. Man muss sich also nicht in der Nähe einer kranken Person aufhalten, um sich anzustecken. Zur Erklärung: In der Nähe der infizierten Person entsteht eine Aerosolblase, etwa wie Zigarettenrauch in der Nähe eines Rauchers. Dort ist es besonders ansteckend. Die 1,50 bis 2 Meter Sicherheitsabstand machen also auch für Aerosole Sinn. In Wuhan (China) hat so eine von der Raumluft weitergetragene Aerosolblase ziemlich sicher zu einer Ansteckung von Personen an nebeneinander liegenden Tischen geführt. Grundsätzlich ist es gut, wenn die Luft gemischt wird und die virale Last im Raum verdünnt wird.
Für die Schulen wird empfohlen, spätestens nach 20 Minuten das Klassenzimmer zu lüften. Ist das ein Patentrezept? Bodenschatz: Hier erweist sich die kalte Jahreszeit als Vorteil. Der Luftaustausch funktioniert viel besser, weil die warme Luft nach draußen entweiheißt:
chen kann. Als Faustregel gilt: Wenn es im Zimmer kühl wird, war die Lüftungszeit ausreichend. Wenn man in den Ecken des Zimmers Thermometer hat, kann man das schnell verfolgen. Ein prima Experiment für eine Klasse.
Lässt sich die Aerosolkonzentration mit CO2-Messgeräten ermitteln? Bodenschatz: Nein, CO2-Geräte messen nicht die Aerosolkonzentration. Wenn kein Covid-19-Infizierter im Raum ist, wäre die CO2-Konzentration die gleiche. Über das CoronaRisiko sagen CO2-Geräte nichts aus! Schon gar nicht lässt sich erkennen, wie viele kranke Personen sich im Raum befinden. Eine CO2-Messung sagt etwas über die Verdünnung der Luft beim Lüften aus – also den Austausch von CO2 durch die Außenluft. In der kalten Jahreszeit reicht ein Thermometer ebenso gut aus, um festzustellen, ob die kalte Luft angekommen ist.
Wären Raumluftreiniger eine sinnvolle Lösung? Bodenschatz: Wir haben Filter getestet, die sehr gut funktionieren und 400 Kubikmeter pro Stunde umwälzen. Das Die Luft in einem Klassenraum mit 100 Kubikmeter würde viermal pro Stunde gereinigt. Es gibt dazu Berechnungsmodelle, die zum Beispiel von der Universität von Colorado, aber auch von uns entwickelt werden. Unsere Aerosol-App HEADS, die auf Messungen von 120 Probandinnen und Probanden beruht, wird in den nächsten Tagen im Internet verfügbar sein. Wir sind noch dabei, eine Anleitung zu schreiben. Übrigens: Bei den Aerosolmessungen konnten wir nachweisen, dass die virale Last beim Singen um ein Zehnfaches höher als beim Sprechen ist. Der Ventilator des Raumluftreinigers hat zudem den Vorteil, dass er die Luft mischt.
Das dürfte Auswirkungen auf die Gottesdienste haben. Ist Weihnachten in Gefahr? Bodenschatz: Wichtig ist: Abstand einhalten und für eine gute Durchlüftung des Raums sorgen. Im Rahmen eines Projekts am Max-Planck-Institut testen wir derzeit Filter für Blasinstrumente. Ich kann mir vorstellen, dass spätestens in einem Monat professionelle Filter zum Einsatz für Blasinstrumente erhältlich sind. Damit würde die Aerosolbelastung in den Räumen durch
Blasinstrumente unterhalb der normalen Atemluft liegen. Masken helfen auch sehr viel – aber die müssen halt dicht am Gesicht sein. Mit einer am Gesicht dichten FFP2-Maske kann ich 500-mal länger im Raum bleiben als ohne. Also nach einer Minute ohne Maske oder 500 Minuten mit Maske – dann habe ich die gleiche Zahl an infektiösen Aerosolen eingeatmet. Hat die Maske eine Leckage an Mund und Nase – dann ist die Wirkung nur etwa fünffach. Das Gebot der Stunde ist es, dass die Masken so dicht wie eben möglich am Gesicht anliegen.
Wie ist es mit dem Sprechen? Bodenschatz: Beim Schreien oder lautem Sprechen werden ebenso viele Aerosole freigesetzt wie beim Husten. Messungen haben ergeben, dass die Tröpfchen beim Husten bis zu sechs Meter weit geschleudert werden. Das erklärt auch die vielen Infektionen bei Familienfeiern: In einem Raum, in dem sehr laut gesprochen wird, ist die Aerosolbelastung innerhalb kürzester Zeit sehr hoch. Wenn kranke Personen im Raum sind, ist die Ansteckungsgefahr um ein Vielfaches höher.